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Etappe 9 – Pokhara

Ein Wasserfall ohne Abfluss, eine Himbeere als Sparringpartner und eine Ausflug in die Küche Koreas

heute ist mein letzter Tag in Pokhara. Das ist der bei Touristen unbestritten beliebteste Ort Nepals, aber ich betrachte ihn mit gemischten Gefühlen.

Die Viertelmillionenstadt liegt am Rande eines Sees namens Fewa Tal, der sich kilometerweit als Westgrenze Pokharas von Norden nach Süden zieht. Es gibt eine Uferpromenade, die eigentlich nur von Hotels, Restaurants, Reiseagenturen, Internet-Cafés und Supermärkten (man bekommt sogar Schweizer Schokolade!) gesäumt ist. Dieses “Lakeside” geht nach einigen Kilometern in “Damside” über, wo am Südende der Fewa Tal mit einem Damm aufgestaut ist, um die Touri-Kneipen mit Elektrizität zu versorgen und wo weitere Hotels jene beherbergen, für die in Lakeside kein Platz mehr ist.

Der Machapuchare verschwindet in den Wolken

Nepal gilt ja vielerorts als Negativbeispiel, als ein Land, das sich einem ungesteuerten, ungebremsten Tourismus geöffnet habe und das dabei seine kulturelle Identität und sein ökologisches Gleichgewicht riskiere. Deshalb hat ja auch der Fast-Nachbar Bhutan ein ganz anderes Tourismuskonzept entwickelt, bei dem nur wenige Reisende zugelassen und diese dann ausgenommen und gegängelt werden, alles natürlich zur Schonung von Tradition und Umwelt. In Kathmandu hat man trotz der Touristenmassen überhaupt nicht den Eindruck, der Tourismus bedrohe irgendetwas authentisch Nepalisches – hier in Pokhara kann ich die Befürchtungen aber eher verstehen.

Das Annapurna-Massiv

Die Beliebtheit Pokharas gründet sich auf die Nähe zum Annapurna-Massiv, das man von hier fast zu Fuß erreichen kann. Der populäre Annapurna Circuit Trek umrundet den Berg zwar nur zu drei Vierteln, benötigt aber doch ungefähr drei Wochen. Je nach Geldbeutel und Ambition  kann man allein mit Rucksack und Gaskocher, mit einem Sherpa-Führer oder auch als de-luxe-Variante mit einer Karawane von Trägern (inclusive mobiler Küche und Toilettenzelt) aufbrechen. Für Fußfaulere gibt es auch kürzere Treks. Angeblich sind die Stapel aus weggeworfenen Plastik-Wasserflaschen und Toilettenpapier schon fast ebenso hoch wie der Himalaya.

An meinen ersten Tagen hatte ich mit Nebel und Regen zu kämpfen und konnte keinen Blick auf die Himalaya-Riesen erhaschen, aber seit drei Tagen ist das Wetter brauchbar, auch wenn die Berge natürlich ab zehn Uhr morgens in den Wolken verschwinden. Bei Schlechtwetter ist Pokhara schlicht und ergreifend ein Alptraum: Kulturelle Sehenswürdigkeiten gibt es kaum, der Weg zur Altstadt ist weit und undokumentiert, und das Preisniveau liegt weit über dem Kathmandus. Besonders bei den Internet-Cafés scheint es ein Lakeside-Kartell zu geben, das idiotische Hochpreise fordert und sich darauf verläßt, daß niemand drei Viertelstunden marschiert, um aus dem Ghetto rauszukommen und zu nepalischen Preisen zu surfen; dafür bieten allerdings einige Restaurants ein Gratis-WLAN an.

Devi Falls: Ein Fluss verschwindet

Seit sich das Wetter gebessert hat, kann ich Pokhara aber doch einige positive Seiten abgewinnen. Der 6993 m hohe Machapuchare (“Fischschwanz”) erscheint wie eine perfekte, sehr steile Pyramide, da man den namengebenden zweiten Gipfel von hier nicht sehen kann, und auch den weiter entfernten Annapurna I (8091 m, zehnthöchster Gipfel) kann man ganz gut sehen, wenn die blendend weißen Gletscher mit dem tiefen Himmelsblau kontrastieren. Ist man erst einmal um den See herumgekommen, kann man durch friedliche Landschaften spazieren und sogar einzelne Sehenswürdigkeiten besichtigen, wie zum Beispiel ein tibetisches Flüchtlingsdorf mit einem ganz respektablen Kloster, oder einen bizarren Wasserfall ohne Abfluß: Der kleine Fluß stürzt sich in ein tiefes Loch und verschwindet dort im durchlöcherten Kalkstein.

Die Insel mit dem Barahi-Tempel

Ein hübscher Tempel namens Barahi Mandir liegt auf einer kleinen Insel vor Lakeside und wirkt wirkt viel zu nepalisch für die Umgebung aus touristenkompatiblen Läden; er gehört zu irgendeiner Göttin, aber ich konnte nicht herausfinden, zu welcher. Gestern war dort allerdings Hochbetrieb, weil zur Zeit das zweiwöchige Dashain-Fest gefeiert wird, und viele Leute pilgerten zum Tempel, zündeten ein dort Räucherstäbchen an und klebten danach sich und ihren Familienmitgliedern eine rote tikka auf die Stirn. Während dieser rote Punkt gewöhnlich nur aus Farbpulver besteht, nimmt man zur Feier des Dashain eine Mischung aus roter Farbe, rohen Reiskörnern und zum Verkleben Bananenmus und trägt dann stolz einen bis zu handtellergroßen roten Fleck auf die Stirn. Das sieht dann ein bißchen so aus, als ob die Leute Kampfsport mit einer zwei Meter großen Himbeere als Sparringpartner geübt hätten.

Erdbeergetortet? Nein, Dashain.

Das schlechte Preis–Leistungs-Vehältnis erstreckt sich auch auf die Restaurants. Pizza, Steak (Importrind, kein Büffel!) und Apfelmüsli sind leicht erhältlich, Momos auch, aber nepalisches dal bhat kann schon schwieriger sein. Meine Hoffnung, ich könnte hier den Touri-Status ein letztes Mal ausnutzen und meine chinesischen Höhenflüge von Kathmandu wiederholen, scheiterte an der ziemlich müden Qualität der chinesischen Restaurants in Pokhara. Stattdessen wurde ich Stammgast in einem WLAN-anbietenden koreanischen Restaurant mit attraktivem Gastgarten.

Kimchisuppe

Koreanische Küche ist nämlich sehr gut, wenngleich in deutschsprachigen Landen kaum bekannt. Sie liebt Knoblauch, Chili und allerlei fermentierte Aromen, einerseits Sojaprodukte verschiedener Art, andererseits aber auch sauer fermentierte Gemüse, von denen natürlich der scharfe fermentierte Kohl kimchi am bekanntesten ist. Kimchi ist sozusagen Sauerkraut mit viel Ingwer, Chili und Knoblauch und gärt milchsauer unter heftiger Geruchsentwicklung in großen Steinguttöpfen; ich habe auch auch schon ganz brauchbar schmeckendes selbst gemacht, nur mit Chinakohl und Essig und ohne Milchsäurebakterien.

Kkaktugi (eingelegte Rettichwurzel)

Saure und/oder pikante Gemüsekonserven sind in Korea aber nicht auf Kohl beschränkt; davon gibt es noch viel mehr Sorten, viele scharf, fast alle sauer und alle sehr wohlschmeckend. Im Koreanischen kann kimchi für ein beliebiges Gemüsepickle stehen, wenn man von Kohl-kimchi spricht, sagt man auch genauer baechu-kimchi (배추김치), denn das gleiche Rezept mit gestifteltem Rettich heißt mu-kimchi (무김치); dagegen ist kkaktugi (깍두기 ähnlich eingelegter Rettich in Würfelform. Koreanische Namen im lateinischen Alphabet sind übrigens eine Peinigung, deshalb kriegst Du gleich die Originalschreibweisen mitgeliefert.

Neben Chilipulver, wie man es für die kimchi-Fabrikation braucht, verwendet die koreanische Küche auch sehr gerne eine Chili-Soja-Paste namens kochujang mit mild–elegantem, reifen Geschmack, einem Hauch von Süße und sämiger Konsistenz, die beim Vergleich mit  Chilipasten anderer Länder letztere ziemlich alt aussehen läßt. Man kann sie zum Kochen einfach in den Wok werfen (etwa für das pikante Schweinefleisch cheyuk-bokkŭm (제육볶음), serviert sie aber auch oft als Tischwürze.

Kimchi bokkum bap (Gebratener Reis mit Kimchi)

So wie Chinesen und Japaner sind auch die Koreaner ziemliche Suppentiger. Eine klare Gemüsebrühe oder eine Art Miso-Suppe aus Bohnenpaste (doenjang 된장) mit etwas Gemüseeinlage und manchmal einem Stück Bohnenkäse (tubu 두부), werden zu vielen Speisen automatisch dazugereicht, aber auch viele Hauptspeisen sind suppenartig. Dazu gehören alle möglichen Arten von Nudelsuppen (ramŏn 라면) und besonders eine scharfe Suppe aus baechu-kimchimit etwas Schweinefleischeinlage und einem Stück tubu; diese sehr scharfe und gehaltvolle Speise hat fast den Charakter eines Nationalgerichts und heißt kimchi chigae (김치찌개). Auch bei den trocknenen Speisen gibt es ein Kimchi-Derivat: kimchi bokkŭm bap (김치볶음밥) ist ein gebratener Reis mit etwas Schweinefleisch, Gemüse und dem nationalen Sauerkraut, serviert mit einem Spiegelei und bestreut mit gerösteten Sesamsamen.

Bibim Bap (Reistopf)

Ein anderes sehr populäres Reisgericht ist bibim bap 비빔밥, einfach gekochter Reis, der mit verschiedenen angebratenen Gemüsen, Schweinefleisch, einem tüchtigen Klecks kochujang und einem Spiegelei überschichtet und mit Sesamöl beträufelt wird. In Restaurants gibt es eine interessante Variante dazu, die in einem glühend heißen Topf serviert wird, so daß der Reis am Boden eine knusprige Kruste entwickelt; laut Literatur wird das Ei dann einfach darübergeschlagen und gart im heißen Topf, aber in dem Restaurant trauten sie sich wohl nicht so recht, es könnte sich ja jemand über ein halbrohes Ei beschweren. Dazu habe ich übrigens im Netz ein wundervolles Rezept bei kochschlampe.com gefunden; der Autor hat zwar vielleicht (wenn man nach dem Namen der Seite geht) ein etwas lose Mundwerk, aber dafür kann er offenbar kochen und photographieren, und Humor scheint er auch zu haben.

Morgen fliehe ich aus Pokhara, und der nächste Brief kommt dann wieder aus einer etwas nepalischeren Umgebung.

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