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Nachschlag

Etappe 5 – Puri / Konark

Ein himmlischer Sonnentempel, Kamele am Golden Beach und vegetarische Pilgerspeisen 

ich bin gerade in Konark, einem kleinen Nest knapp an der Ostküste im Bundesstaat Orissa.  Zuvor war ich in Puri, nur 30 km südlich von hier direkt an der Küste. Beide Orte sind touristisch sehr beliebt, aber damit enden die Gemeinsamkeiten schon.

Puri ist die Heimat des Kults um Jagannath, eine Erscheinungsform Krishnas, dem hier ein riesiger Tempel geweiht ist – allein die Tempelküche, so heißt es, hat 400 Angestellte. So genau überprüfen lann das aber keiner, weil leider nur Hindus der Zugang gestattet ist; wir Fehlgeborene müssen entweder auf das nächste Leben hoffen, oder vom Balkon einer gegenüberliegenden Bibliothek einen Blick auf den Tempelkomplex erhaschen. Diese Bibliothek hat den Balkon übrigens als Geschäftsmodell entdeckt und versucht, aberwitzige Spenden von kulturinteressierten Ausländern zu erpressen, wobei sogar ein offenbar gefälschtes donation book zum Einsatz kommt, das die hohen „Spenden“ anderer Besucher belegen soll.

Am Strand von Puri

Einmal im Jahr werden die überlebensgroßen Kultfiguren von Jagannath und seinen Geschwistern Subhadra und Balbhadra auf drei hölzerne Wagen mit 2 m hohen Rädern gepackt und durch die Stadt geführt; selbst für indische Verhältnisse ist das ein Großereignis, zu dem jährlich hunderttausende Pilger strömen. Den Rest des Jahres lebt Puri von seinen spirituellen Angeboten (etwas respektlos als „guru shopping“ bezeichnet) in den zahllosen Ashrams, und natürlich von den Stränden aus feinkörnigem goldgelbem Sand und dem blauen Wassern des Golfs von Bengalen.

Kamel am Golden Beach von Puri

Es gibt immer noch ein urtümliches und hygienisch katastrophales Fischerdorf, von wo aus die Fischer morgens auf ihren Booten hinaussegeln, um die lokalen Fischrestaurants zu bedienen – wer jedoch ein Duftspektrum außerhalb des Bereiches zwischen verrottendem Fisch und menschlichen Exkrementen sucht, der sollte tunlichst weiter nördlich baden. Wasserscheu wie ich bin, habe ich es aber bei einem Spaziergang über den schönen aber leider schattenlosen Golden Beach belassen, wo man für in- und ausländische Touristen auch so typisch maritime Attraktionen wie Kamelreiten anbietet.

Ein Blick auf den Jagannath-Tempel

Dagegen ist Konark vergleichsweise „silent backwater“, obwohl es mit dem Sonnentempel ein Stück UNESCO-Weltkulturerbe anbieten kann. Da die meisten Touristen den Ort nur als Tagesausflug besuchen, sind die Unterkünfte bescheiden, und die gastronomische Szene unterbietet diesen Level sogar noch. Interessanterweise fand ich Gewürz-Souvenierhändler, die so exotisches Material wie Kubebenpfeffer, Sternanis und sogar Kümmel (angeblich gut für Biryani!) anboten, und konnte die Gelegenheit gleich nutzen, um Gewürznamen in der lokalen Oriya-Sprache zu recherchieren. Die ganze Gegend ist übrigens mit Cashew-Sträuchern bepflanzt, die den Bauern hier bei Kilopreisen ab 300 Rs offenbar gutes Geld einbringen.

Sonnentempel bei Nacht

Der Sonnentempel von Konark ist einzigartig, und meine Erkenntnis von 1995, wonach dies der schönste Hindu-Tempel Indiens ist, muß fürs erste nicht revidiert werden (allerdings darf Südindien in den kommenden Monaten gerne versuchen, Konark zu übertrumpfen). Er stammt etwa aus dem 14. Jahrhundert und bestand, so wie die Tempel von Khajuraho, ursprünglich aus einer Vorhalle und einem Tempelturm – allerdings in gigantischem Ausmaß, die Vorhalle erreicht 70 m Höhe, und der mittlerweile eingestürzte Turm war bestimmt mindestens doppelt so hoch. Der ganze Tempel stellt den Wagen des Sonnengottes Surya dar: Ostseitig steht ein steinernes Gespann aus sieben Pferden, die die Wochentage symbolisieren.

Ein Rad des Sonnentempels

An Nord- und Südseite findet man je 12 Räder, die für Halbmonate stehen, mit je acht Speichen, die eine Unterteilung des Tages in Einheiten von drei Stunden widerspiegeln; diese Räder dienen auch als Sonnenuhren und erreichen eine Genauigkeit von drei Minuten. Und westseitig blickt eine Statue Suryas aus grünlichem Granit Richtung Sonnenuntergang.

Die Giraffe belegt Kontakte nach Afrika

Die gesamte Außenmauer ist reich verziert, und wenn die Stauen und Reliefs auch nicht die Feingliedrigkeit und Beweglichkeit des Khajuraho-Stils erreichen, so sind sie doch sehr sehenswert, und teilweise äußerst deftig; ähnlich wie in Khajuraho stellen sie viele, ja vielleicht sogar alle Aspekte des Lebens dar, und sexuelle Betätigung ist ein Hauptthemenkomplex, neben dem höfischen Leben zwischen Krieg und Jagd, dem ebenfalls viele Darstellungen gewidmet sind. Der gute Erhaltungszustand ist übrigens dem eingestürzten Tempelturm zu verdanken, unter dessen Schutt die Sandsteinskulpturen vor den Elementen geschützt in unsere Zeit überdauerten.

Erotische Szene von der Südseite

Das kulinarische Angebot in beiden Orten richtet sich primär an Hindu-Pilger, von denen der Hauptteil wohl aus dem benachbarten Bengalen stammt. Daher gibt es in Puri viele Restaurants, die mit zwiebel- und knoblauchfreier bengalischer Küche werben: Dort bekommt man dann mildes Linsenpüree, mit der bengalischen Gewürzmischungpanch phoran“ zubereitete Gemüsecurries und dazu Reis und ein pikant-süßes chutney, das häufig ungefähr so schmeckt wie Tomatenketchup mit Zucker, Curryblättern und Senfkörnern. Ebenfalls dabei sind chips, also knusprig gebratene dünne Kartoffelscheiben, zwischen denen sich manchmal einige Bittermelonenscheiben verstecken, die wirklich sehr gewöhnungsbedürftig bitter schmecken.

Masala Dosa mit Zwiebelfülle

Das bengalische Knoblauchtabu ist übrigens ein Überbleibsel der vorislamischen Epoche, als Knoblauch und Zwiebel in ganz Indien als höchst unrein galten und ihr Verzehr innerhalb der Stadtmauern nicht geduldet war, wie ein chinesischer Besucher namens Xuán Zàng im 7. Jahrhundert aufzeichnete.

Trockener bengalischer Kartoffelcurry

Aber auch südindische Speisen sind vertreten: Morgens kann man seine idli (fermentierte und gedämpfte Bohnen-Reis-Knödel) mit einer Auswahl pikanter südindischer Gemüsecurries oder die bekannten masala dosa probieren, und tagsüber steht südindischer Zitronen- oder Joghurtreis (daddojanam) mit dem sauren, dünnflüssigen sambar (Gemüsecurry) zur Verfügung. Die Restaurants in Konark bieten darüber hinaus auch Rajasthani ThaliGujarati Thali  und zahllose weitere Regionalküchen an, die in fast jedem Restaurant in derselben Reihenfolge die Speisekarten bevölkern.

Gemüsemarkt in Puri

Fleisch ist dagegen ein deutlich seltener gesichtetes Phänomen. Während Fischcurries in Puri fast überall zu haben sind, findet man Huhn oder Lamm nur auf wenigen Speisekarten, und in Konark habe ich kein einziges „Non-Veg“-Restaurant gesehen. Stattdessen prägt die Aufschrift „100% Pure Veg“ das Stadtbild, womit ausgesagt ist, daß vegetarisch und entsprechend den hindustischen Reinheitsregeln gekocht wird. Nach einer liberalen Phase in den 80ern und 90ern scheint das Land jetzt wieder konservativer zu werden und mehr Augenmerk auf religiöse Traditionen zu leben.

In Konark bin ich schwach geworden und dem Charme industriell hergestellter Nahrungsmittel verfallen: Unter Flavoured Milk muß man sich eine Art Kaffeesahne vorstellen, die zurückhaltend gezuckert und mit viel Cardamom gewürzt ist. Das ganze kann man an einem „Government Milk Booth“ in eiskalten 150-ml-Portionen kaufen, und es schmeckt einfach grandios. Wer es traditioneller mag, kann Milch auch in Form von khir genießen, das ist ein dünnflüssiger Reispudding, den ich hier in einem Dorf ein paar Kilometer vor Konark in einer Version mit Cardamom, ganzen Mandeln, Cashewnüssen und Rosinen gegessen habe.