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Etappe 5 – Bhubaneswar

Vielschichtige Gerüche, lange Finger und chinesische Küche mit indischem Akzent

nach erholsamen Tagen in der Provinz bin ich nun in der Hauptstadt von Orissa, der sogenannten „City of Temples“ Bhubaneswar. Obwohl dieses Epithet auf viele indische Städte passen würde, so trägt Bhubaneswar es mit besonders viel Recht, denn der Stadtkern rund um den künstlichen See Bindu Sagar erinnert fast an ein Freilichtmuseum: Zwischen den Kokospalmen und anderer tropischer Vegetation streben zahllose Tempeltürme himmelwärts.

Der Lingaraja-Tempel bei Nacht

Der bekannteste dieser Tempel ist der Lingaraja-Tempel, ein riesiger Tempelkomplex mit tausenden von Brahmanen, die fast eine Stadt in der Stadt bilden. Anders als beim Jagannath-Tempel in Puri gibt es aber eine an der Tempelmauer errichtete Aussichtsplattform, von der aus man das rege Treiben gratis beobachten kann. Gefälschte „donation books“ kommen aber bei den anderen Tempeln zum Einsatz, wo ebenso freundliche wie geriebene Brahmanen die wenigen Touristen gerne herumführen und dann gleich hundert Rupees einkassieren wollen.

Der Bindu Sagar

Die Tempel von Bhubaneshwar sind größtenteils alt, oft mit einem über tausendjährigen Kern, an den später oft ausgiebig zugebaut wurde. Ihre Architektur ist nicht so großartig wie der Sonnentempel von Konark, und die Verzierung der Außenmauern kann sich mit den Khajuraho-Tempeln höchstens punktuell messen, aber dafür haben sie ein gewisses lebendiges Ambiente: Die Räucherstäbchen glimmen an jeder Ecke (keine schlechte Idee angesichts der Geruchsbelästigung durch den Bindu Sagar), Gläubige bringen Blüten, und bunt gekleidete Gestalten bevölkern die Ghats, das sind die Badeplätze am Sagar und anderen nicht weniger verdreckten Seen. Ich weiß nicht, wie schmutzig man sein muß, um sich nach einem Bad in diesen fauligen, grünlich überdüngten Wassern sauberer zu fühlen.

Der Uttareshwar-Tempel

Leider hat mir Bhubaneshwar einige Negativ-Erlebnisse beschert, das davon erste am Uttareshwar-Tempel, der am nördlichen Rand des Bindu Sagar liegt. In Abwesenheit das Brahmanen hatten mich einige Kinder völlig nutzlos „herumgeführt“ (ich kann ein Kultbild des Elefantengottes nämlich durchaus selbst erkennen, ohne daß jemand „Ganesha“ dazusagt) und mir dabei eiskalt das vorschriftsgemäß am Tempeleingang abgelegte Schweizermesser geklaut. Es folgten eine Stunde Diskussion mit dem über diese Tat ehrlich empörten Tempelbrahmanen, der sofort ein paar der Youngsters als verdächtig klassifierte und mit ihnen private Gespräche führte, gefolgt von einer weiteren Stunde Polizei mit den drei Verdächtigen – danach tauchte der Polizeichef bei mir auf und übergab mir mein Messer mit der lakonischen Aussage “I made him confess his guilt”. Beim Verhör war ich nicht dabei, aber ich hege die Hoffnung, daß es sehr, hmm, körperlich abgelaufen ist. Möge der Dieb als Ratte oder Mehlwurm wiedergeboren werden! 😉

Hatte das noch einige eher komödiantische Elemente, so kam es zwei Tage später knüppeldick: Beim Aufwachen stellte ich fest, daß ich in der Nacht Besuch gehabt hatte, der mir einen (glücklicherweise relativ kleinen) Teil der Bargeldreserven zusammen mit einer Packung Streichhölzer gestohlen und den Laptop ins Badezimmer getragen und dort offenbar mindestens zweimal erfolglos gebootet hatte – wahrscheinlich hatte das Linux den Dieb überfordert, jedenfalls ließ er den Laptop am Badezimmerfenster zurück. Zuerst vermutete ich, daß auch die Kreditkarte unter dem Diebsgut wäre, und ließ sie gleich sperren; zwei Tage später fand ich sie dann an unerwarteter Stelle, aber nun ist es zu spät. Lakshmi mag wissen, wie ich je an eine neue Karte kommen soll, denn VISA Österreich ist bürokratischer als das k.u.k.-Salzamt.

Der schön dekorierte Mukteshwara-Tempel

Die Polizei war übrigens von minimalem Nutzen, die verdächtigten nämlich nur die Hotelangestellten und verhörten sie eine Nacht lang; angesichts der von innen verriegelten Tür tippe ich auf irgendwelche Kids der Nachbarschaft, die über ein ca. 50 cm großen unvergittertes Fenster ins Badezimmer eingestiegen sein könnten. Sei das wie es sei – das Angebot des Hotelbesitzers, als Zeichen des guten Willens meine Hotelrechnung zu anullieren, habe ich jedenfalls angenommen.

Bhubaneshwar ist eine weitläufige, laute und nervige Großstadt, allerdings relativ sauber und für indische Verhältnisse auch recht grün. Sehenswürdigkeiten jenseits der Tempel rund um den Bindu Sagar sind rar, aber die kulinarische Szene übertrifft meine letzten Aufenthaltsorte um Längen.

In der Pilgerstadt Bhubaneshwar bekommt man Honig in Kleinstportionen für hinduistische Oferrituale (puja)

Bhubaneshwar hat eine Anzahl “fast food stalls” mit sogenannter chinesischer Küche. Chinesisch ist unter urbanen Indern richtig „in“, auch wenn das in Indien erhältliche „chinesische“ Essen mit China genausoviel zu tun hat wie die Produkte des typischen deutschen Chinarestaurants, also wenig bis nichts. Indische „chinesische“ Küche besteht zunächst mal aus Nudelgerichten, die immer als chow mien bezeichnet werden, auch wenn das chinesische chǎo miàneigentlich nur „gebratene“ Nudeln bezeichnet. Die Köche sind so gut wie immer Inder und halten oft nicht viel von Sojasauce, die dann einfach weggelassen oder durch Chilisauce oder Tomatenketchup ersetzt wird. Nudeln werden immer mit feingehacktem Gemüse kombiniert, und oft kommen auch noch Ei oder Fleisch dazu – bizarrerweise nicht selten in tandoori-Gewürzen mariniertes Lammfleisch, das im Wok frittiert und dann unter die chow mien gemischt wird.

Chinesische Nudeln mit einer Krone aus nordindisch gewürztem Fleisch

Aber auch die aus Deutschland sattsam bekannten Kleister-, äh, Verzeihung, Stärkesaucen kommen in der „indischen China-Küche“ zu ihrem Auftritt, allerdings eher in säuerlicher, fruchtiger Form. Chili chickenginger chicken und garlic chicken sind weithin erhältlich und bestehen aus (schlimmstenfalls tandoori-gewürzten) Hühnerstückchen in fruchtigen Stärkesauce, die aus der jeweiligen namensgebenden Zutat, Tomatenketchup und einer säuerlichen Sauce aus grünen Chilies zusammengerührt wird. Ein Gericht mit echt chinesischen Gemüsen (Bambussprossen, Sojasprossen, Senfgemüse, Pilze), mit einem erkennbaren Soja-Aroma oder mit anderen typische chinesischen Geschmacksmitteln (Sesamöl, schwarzer Essig oder auch nur Zucker) oder habe ich dagegen noch nie serviert bekommen, dafür fehlen aber auch die „hawaii-chinesischen“ Ananasgerichte der deutsch-chinesischen Küche.

Ein „Lassi Center“

In der Nähe des „Kalpana Square“, wo ich wohne, gibt es aber durchaus auch weitere kulinarische Attraktionen. Fruchtsaft ist sehr populär, und daher findet man zahlreiche Stoffbauten, die ein bißchen wie schnell hingepfuschte Veranstaltungszelte wirken und so klingende Namen wie „Lassi and Fruit Juice Center“ tragen. Zu überlauter Oriya-Popmusik kann man dort frisch gemixte Fruchtsäfte (Ananas, Orangen und Trauben sind gerade im Angebot) oder geradezu barockes lassi trinken, das hier nicht nur auf aufgeschäumtem Joghurt und Zucker, sondern auch Kokosraspeln, Cashewnüssen, Mandeln und Rosinen hergestellt wird.

Biriyani, serviert mit raita (Joghurtsalat)

Auch Biryani erfreut sich großer Beliebtheit in Restaurants und auf Straßenständen, wo er sowohl vegetarisch als auch mit Huhn oder Lamm angeboten wird. Entsprechend der nordindischen Tradition verwendet man dazu hochwertigen Langkornreis, der zusammen mit Fleisch und Gewürzen in einem mit Teig versiegelten Topf ganz langsam zu höchster Lockerheit gedämpft wird; anders als im Norden spart man aber nicht am Chili. Die Reiskörner schwanken im Farbton zwischen orangegelb und reinweiß, und manchmal hat man den Eindruck, jedes einzelne wäre in Handarbeit auf einen anderen Farbton eingestellt worden; aber leider steckt da nur ordinäre Lebensmittelfarbe dahinter, und daher duften die Biryanis zwar schön nach Zimt, Nelken und Cardamom, aber die distinkte Safrannote des nordindischen Vorbildes fehlt.

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