Von Mäusen, Käfern und Glühwürmchen, einem Stelldichein buddhistischer Tempel und genussreichem Dalbhat
sieht man von den Nationalparks ab, so ist Lumbini die wichtigste Sehenswürdigkeit im Tarai. Dieses Dorf liegt heute knapp an der indischen Grenze und gehörte vor zweieinhalbtausend Jahren zu dem Königreich von Kapilvastu (heute ein Ruinenfeld ein paar Kilometer entfernt). Hier gebar der Legende nach die Königin von Kapilvastu, Maya Devi, ihren Sohn, als sie auf einer Reise zu ihrem Vater von den Wehen überrascht wurde. Dieser Sohn war Siddharta Gautama, der einer der bedeutendsten Männer der Weltgeschichte werden sollte.
Der Rest ist allgemein bekannt: Wie der junge Prinz zuerst ein weltliches Leben führte, danach zum extremen Asketen wurde und beides nicht befriedigend fand. Schließlich versuchte er einen Mittleren Weg ohne Extreme, empfing im indischen Bodhgaya unter einem Feigenbaum meditierend die Erleuchtung und stieg rasch zum einflußreichsten religiösen Lehrer Indiens auf. Ironischerweise ist der indische Zweig des Buddhismus ausgestorben, und die Lehre des Erleuchteten wird heute in Indien nur noch im Himalaya gepflegt, wo sie aus Tibet reimportiert wurde.
Wer allerdings in Lumbini ein zweites Rom, Jerusalem, Mekka oder auch Tirumala erwartet, der wird enttäuscht werden. Der Ort ist nicht mehr als eine Straße mit ein paar Häusern rundherum, und die vier Quadratkilometer große “Buddhist Development Zone” besteht überwiegend aus schlammigen Wegen und grüner Vegetation. Rund um einen künstlich angelegten Kanal stehen jedoch zahlreiche Klöster und Tempel, die von buddhistischen Gemeinschaften aus verschiedenen buddhistischen Nationen im jeweiligen nationalen Stil errichtet wurden oder gerade gebaut werden. Fast alle buddhistischen Richtungen sind vertreten und bieten sporadisch buddhistische Kurse oder Lehrgänge an; außer einigen Mönchen und Nonnen sowie einer Handvoll Touristen sieht man jedoch niemanden.
Nicht alle Klöster sind für Touristen geöffnet, aber es macht natürlich Spaß, die Architektur der halben buddhistischen Welt an einem einzigen Ort konzentriert mit dem Fahrrad besuchen zu können. Nach drei Regentagen war das allerdings ein reichlich schmutziges Vergnügen, und heute abend sah ich aus wie ein Wasserbüffel, und das Fahrrad sogar noch schlimmer.
Die Tempelarchitektur lehnt sich meist an besonders ikonische Heiligtümer in den jeweiligen Ländern an: Der (erst projektierte) kambodschanische Tempel ist von Eingangstürmen mit Lotusknospen wie in Angkor Wat umgeben, der burmesische lehnt sich an die Shwedagon-Pagode in Yangon an, der srilankanische wiederum kombiniert die Architektur des Zahntempels in Kandy mit einem Ableger des heiligen Baums von Anuradhapura, der chinesische würde hervorragend in die Verbotene Stadt passen, und der vietnamesische kopiert die Einpfahlpagode von Hanoi in einem wunderschönen, von betongegossenen und lebenden Kranichen bevölkerten Garten. Das schafft ein bißchen Minimundus-Atmosphäre. Zu den noch fehlenden Ländern gehören Laos und die Mongolei, dafür haben jedoch einige europäische Länder prachtvolle Tempel beigetragen, darunter auch Deutschland und Österreich.
Lumbini hat eine äußerst ruhige und fast unscheinbare Atmosphäre; nicht hier erinnert an einen religiösen Jahrmarkt. Außerhalb des Tempelparkes findet man nur eine Straße mit ein paar Hotels, Restaurants und Internet-Cafés, und gleich dahinter erstrecken sich die Reisfelder mit verstreuten Wohnhäusern, die oft nicht viel mehr als Strohhütten sind. Ich wohne etwas abseits, etwa zwei Kilometer vom Parkeingang entfernt, aber da man sowieso ein Fahrrrad braucht, ist das kein wirklicher Nachteil.
Der Guesthouse-Besitzer, der mich am Busbahnhof abgefangen hatte, versicherte mir, daß ich im Zimmer nicht mit Kakerlaken zu rechnen hatte, und er behielt recht: Ich hatte einige Käfer und Frösche und sogar eine Maus im Zimmer, wobei letztere sich ihr Bleiberecht dadurch erwarb, daß sie einen Käfer vertilgte. Bei soviel Wildlife trauere ich den nepalischen Nationalparks, die ich ja nicht besucht habe, keineswegs nach, zumal beim nächtlichen Heimweg auch noch Scharen von Glühwürmchen ein richtiges Feuerwerk für mich veranstalteten. Naja, es war ja auch Welttierschutztag, als ich hier ankam.
Meine Hoffnung auf eine buddhistisch–internationale kulinarische Szene wurde allerdings enttäuscht: Zwar gibt es ein kleines Lokal im Tempelpark, dessen burmesischer Besitzer mir charaktervollen Grüntee aus Myanmar kredenzte, aber sonst hat man nur die Auswahl zwischen unterirdischer thukpa und labbriger Tiefkühlpizza in einem hübschen Touristenlokal, und authentischem dalbhat in mehreren Strohhütten am Parkeingang. Ziegen und Hühner laufen dort über den gestampften Lehmboden, während der Fernseher Hindi-Serien in Überlautstärke zum besten gibt und ein bedenklich tiefer Ventillator wie ein Damokles-Schwert den Gedanken an Dekapitation wachhält.
Vielleicht lag es ja auch an dem Hunger, der sich bei der stundenlangen Besichtigung und dem beschwerlichen Fahrradfahren durch tiefen Schlamm aufgebaut hatte, aber das heutige dalbhat war ein Hochgenuß. Gedünstetes Senfgemüse, ein Kartoffel–Bohnschoten-Curry und die kanonische Linsensuppe wurden mit hausgemachen Pickles, einem wunderbar nach nepalischem Pfeffer schmeckenden Tomatenchutney und einem knackigem Gurkensalat mit einem pikanten Dressing kräftig aufgewertet, und dazu leistete ich mir noch einen sowohl von der Fleischqualität als auch von der Würzung (mit Chili, den typischen Curry-Gewürzen und indischen Lorbeerblättern) ganz überdurchschnittlichen Hühnercurry. Da ich auch noch literweise ungezuckerten Schwarztee dazubekam, wird dieses Mahl mit drei goldenen Stupas prämiert.
Leider kann ich nicht länger bleiben, sondern muß morgen bereits einen Nachtbus nach Kathmandu nehmen. Ich weiß nich so recht, wie lange die indische Botschaft zum Ausstellen eines Visums braucht, und da ich nur noch gut zwei Wochen in Nepal bleiben kann, gehe ich lieber auf Nummer Sicher. Der nächste Brief kommt also wieder aus der Hauptstadt, von wo es ja auch genug zu berichten gibt.
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