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Etappe 9 – Ilam

9V-Blockbatteriepfeffer, mystische Teegärten und die freundlichsten Immigrationsbeamten der Welt

Ich bin vor einer Woche nach Nepal gekommen. Nach der gut vierzigstündigen Zugfahrt von Südindien erreichte ich den Korridor von Siliguri, der nur 20 km breit zwischen Nepal und Bangadesh eingeklemmt liegt und vom indischen Kernland in die Nordostprovinzen führt. Diese waren aber nicht mein Ziel, stattdessen fuhr ich mit einem klapprigen Bus zur Grenzstation von von Panityanki,  passierte die Grenze zu Fuß über eine etwa 100 m lange Brücke ins nepalische Kakarbhitta und erledigte dort den Papierkram, den die Einreise so mit sich bringt, inclusive der Visagebühr von 90€. So freundliche Immigrationsbeamte habe ich noch nirgendwo gesehen!

Die nepalische Realität holte mich dann rasch ein. Wegen eines Streiks fuhr kein Bus nach Ilam, einen dreinhalb Stunden entfernten Höhenkur- und Teeanbauort. Also schlief ich eine weitere Nacht irgendwo zwischen Kakerlaken (macht mit den im Zug verbrachten bereits drei Nächte ohne erkennbare Annehmlichkeiten) und fuhr am Tag darauf die landschaftlich wunderschöne Straße nach Ilam hinauf. Sie beginnt nahe der Grenze im flachen und heißen Tarai (Nepals Anteil an der nordindischen Tiefebene) und zieht sich dann in die sogenannte „hills region“, also die Himalaya-Fußhügel. Ich schätze die Umgebung hier auf etwa 900 m, und da spricht in Nepal niemand von einem „Berg“.

Markt in Ilam

Ilam liegt inmitten freundlich grüner Hügel, die teils noch echt bewaldet, teils aber auch zum Reis- oder Teeanbau genutzt werden. Zu sehen gibt es außer der Landschaft nichts, und auch diese verbirgt sich jetzt, zur Monsunzeit, hinter einem gar nicht zarten Nebelschleier. Das kommt allerdings nicht unerwartet, denn das nicht weit entfernte Darjeeling in Indien ist ja auch als Nebelloch bekannt. Also spaziere ich durch die von Nebelfetzen mystisch geadelten Teegärten, plaudere mit netten Nepalesen und lasse mir von ihnen interessante Gewürzpflanzen zeigen: Hier, am Südrand des Himalaya, sind immerhin drei Gewürze heimisch, die man anderswo nicht oder zumindest nicht in dieser Form finden kann.

Straße in Ilam

Der nepalische Sichuanpfeffer, eigentlich sollte man wohl „Nepalpfeffer“ sagen, ist wohl derselbe, der auch in Tibet verwendet wird und den ich Dir bereits vor ein paar Monaten aus Dharamsala beschrieb. Jetzt habe ich endlich auch einmal eine Pflanze gesehen, die reiche Büschel von unreifen Früchten trug. In so eine Frucht hineinzubeißen ist ein schräges Vergnügen, ungefähr so, wie eine 9V-Blockbatterie zu verspeisen, denn es stellt sich das bekannte, halb elektrisch anmutende und halb an eingeschlafene Füße erinnernde Kribbeln auf der Zunge ein, und zwar um ein Vielfaches stärker als beim getrockneten Gewürz. Chinesisch heißt dieser Geschmack „má“ und drückt der Sìchuān-Küche seinen prägenden Stempel auf, aber verwandte Gewürze werden auch in Südwestindien, Sumatra, Japan und Korea verwendet.

Nepalpfeffer

Überall entlang der Straße nach Ilam sieht man Cardamom-Stauden. Das ist allerdings nicht der elegant schmeckende Grüne Cardamom, von dem ich Dir aus Südindien berichten konnte, sondern es handelt sich um eine lokale Art mit großen, dunkelbraunen Kapseln, die man schon einmal mit einem Kakerlaken verwechseln könnte (beides kommt hier ja massig vor). Das Aroma ist wenig subtil, eher kräftig nach Eucalyptus, und beim beim Trocknen über offenem Feuer gesellt sich dann noch eine Rauchnote hinzu. Die Früchte entwickeln sich in dichten Aggregaten ganz in Bodennähe und sind leider noch nicht reif. Dieser in ganz Nordindien beliebte Schwarze Cardamom wächst eigentlich nur hier, in den tieferen Himalayalagen Nepals und der benachbarten Regionen Indiens.

Zwei freundliche Damen im Teehaus

Das dritte Gewürz war am schwersten zu finden, obwohl ich es es sogar am Markt angeboten sah: Die sogenannten „Indischen Lorbeerblätter“ stammen in Wahrheit von einer Zimtart mit minderwertiger Rinde, aber süß nach Zimt duftenden Blättern. Nach langer Suche schickte man mich schließlich in einen kleinen Hausgarten, in dem tatsächlich zwei schlanke Bäume standen. Aber beide erwiesen sich als wenig photogen, da sie in einem unglaublichen Ausmaß von Raupen befallen waren, die das aromatische Laub im Zeitraffertempo annihilieren. Selbst ein Grünen-Parteimitglied der ersten Stunde hätte diesen beiden armen Gewächsen eine Jahresdosis DDT gegönnt!

Teezubereitung nach Großväter Sitte

Du fragst Dich jetzt bestimmt, wie die nepalische Küche schmeckt. Bislang ist das Fazit eher ernüchternd. Die Restaurants bieten neben chinesischen „chow mien„, in Berlin als „Nudelpfanne“ überall zu haben, eigentlich nur „dal bhat tarkari“ an, das heißt soviel wie „Linsen, Reis und Gemüsecurry“ und gilt als nepalisches Nationalgericht. Die Linsen sind oft ungeschält und werden in Gemüsebrühe gekocht, wobei sie ihre Bißfestigkeit behalten; in Indien sind dagegen meistens geschälte Linsen im Einsatz, die in kürzester Zeit zu einem Brei verkochen. Gewürzt wid das dal nur mit Salz und (wenn man Glück hat) etwas Chili.

Restaurantküche

Auch die Gemüsecurries sind sehr mild; besonders beliebt ist zur Zeit Kürbis, und zwar ißt man die jungen Blätter und Stengel, die zuvor mühsam von den Ranken befreit werden. Die Zubereitung ist einfach: Das Blattgemüse wird gekocht oder gedämpft und daraufhin mit etwas Fett, Kreuzkümmel und Bockshornklee in der Pfanne geschwenkt. Kartoffelcurries sind auch überall zu haben und auch trockene, frittierte Kartoffelraspel.

Das alles schmeckt recht lasch, allerdings bekommt man auf Anfrage auch gerne Chilies zum Knabbern dazugereicht. Außer den üblichen langen Schoten gibt es hier auch rundliche, in denen ich zu meinem Erstaunen die agressive Schärfe und den blumigen Geruch der Art „Capsicum chinense“ erkannte. Der lokale Name dieser in meiner umfangreichen Chili-Literatur nicht erwähnten Art lautet „akhbare khursani„.

Schärfebombe „akhbare khrusani“

Sonst gibt es noch überall die bekannten Momos, meist in einer vegetarischen Variante, und die üblichen nordindischen Snacks wie Samosa und gekochte Kichererbsen. Auch einen süßen Zahn scheinen die Leute zu haben, jedenfalls steht an jeder Straßenecke ein Süßigkeitenhändler, der barfiperagulab jamun und ähnliches feilbietet, oft auch noch einfache pikante Mahlzeiten dazu (wie das ja auch viele Cafés in Deutschland tun).

Naja, daß man im Gebirge suboptimal ißt, kommt ja nicht wirklich unerwartet; hier eben sind Rustikalität und Einfachheit Trumpf. Trotzdem bleibe ich noch länger in der Gegend: Morgen fahre ich nach Fikkal und gehe dort was trinken.

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