Ein mächtiges Fort in entrücktem Gelände, rotierende Ochsen und ein wirkungsvoller Chili-ImBiss
wenn ich letztes Mal Ranakpur als abgelegen beschrieben habe, was soll ich da erst zu Kumbhalgarh sagen, dem vermutlich größten Fort Indiens, das die Mewar-Dynastie ganz hinten nach dem letzten Berg links errichtete und das selbst Kaiser Akbar nicht mehr als einen Tag lang einnehmen konnte? Von Ranakpur, auch nicht gerade einem Zentrum der Urbanität, ist man gute drei Stunden mit Sammeljeep und Bus unterwegs, bevor man die letzten drei Kilometer zu Fuß zurücklegen muß.
Dabei kommt man durch eine Landschaft, die wirklich kaum ein Zeichen des zwanzigsten und schon gar nicht des einundzwanzigsten Jahrhunderts erkennen läßt. Die Straße führt fast ohne Verkehr durch die kargen Hügel, und man sieht verstreute Gehöfte, kleine Ansiedlungen mit kommunaler Bewässerung und entsprechend leuchtend gelbe Senffelder. Besonders faszinierten mich die Ziehbrunnen, die immer noch durch Rinderkraft betrieben werden: Der rotierende Ochse bewegt per Zahnradtechnik eine Kette, an der Gefäße befestigt sind; letztere holen das Wasser aus der Tiefe des steingemauerten Brunnens und schütten es in die Bewässerungskanäle. Da wir gerade Trockenzeit haben, liegt bei vielen Brunnen der Wasserstand zu tief für die Kette, und so muß elektrisch gepumpt werden. Dafür kann man sehen, wie im Inneren der Brunnen Stufen verschiedener Bauart bis nach ganz unten führen.
Die Menschen leben hier wahrscheinlich traditioneller als an den meisten Orten, die ich in Indien gesehen habe. Frauen in bunten Saris, denen natürlich immer die härtesten Arbeiten aufgebürdet werden, wirken von der Straße aus wie Schmetterlinge, wenn sie sich im Zickzackkurs durch das dornigen Akaziengestrüpp arbeiten, um ein bißchen Feuerholz zu sammeln. Man kommt sich fast wie ein schlüssellochblickender Voyeur vor, wenn man diese Menschen beobachtet, deren Tagesablauf so anderen Gesetzen als der eigenen folgt.
Erreicht man dann endlich die mächtigen Mauern des Forts, dann fragt man sich, welche Asuras, Rakshasas oder meinetwegen Cyclopen diese ungeheure, 36 km lange Mauer inmitten der wilden Berge errichtet haben könnten; menschengemacht sieht sie eigentlich nicht aus. Vor einem Jahr haben mir in Diyarbakır (Ostanatolien) die Einheimischen erzählt, ihre 5 km lange, sehr beeindruckende Stadtmauer sei die längste nach der Chinesischen Mauer, und ähnliche Geschichten mag man auch anderswo hören; aber hier will ich es glauben. Das düstere, endlose Gemäuer mit seinen bauchigen Wehrtürmen muß auf jede von der Anfahrt bereits geschlauchte angreifende Armee auch als psychische Barriere gewirkt haben.
Als ich den Ort vor 14 Jahren besuchte, war er noch wesentlich verlassener als heute; mittlerweile gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, Cafés und Souvenierläden, und natürlich das ultimative Kennzeichen der Zivilisation: Eintrittskarten, die für Ausländer zwanzigmal soviel wie für Inder kosten. Bin ich nun zwanzigmal soviel wert wie der indische Tourist, oder tue ich durch meinen Besuch dem Monument zwanzigmal mehr Schaden? Das weiß nur der Archeological Survey of India.
Innerhalb der Mauern sieht es nicht viel anders aus als außerhalb: Eine kleine dorfartige Ansiedlung, gespickt mit einige touristischer Infrastruktur, viel dürre Landschaft und Gruppen von Tempeln, die teilweise geradezu überrestauriert wirken. Am höchsten Punkt des umschlossenen Gebiet steht eine gut erhaltene Burg mit einigen restaurierten Palasträumen voller Frescen von Elefanten.
Spannender fand ich die Tempel. Obwohl einer davon als Shiva-Schrein genutzt wird, tragen alle typische Merkmale der Jain-Architektur; lediglich die kleinsten und insignifikantesten davon scheinen mir original hinduistisch zu sein. An den anderen sieht man winzige Tirthankara-Figuren über den Eingängen, männliche und weibliche Schutzfiguren (Yaksha bzw. Yakshi) auf Kniehöhe links und rechts am Eingang und andere Symbole, deren Bedeutung mir nicht klar ist: Eine acht- oder sechzehnzipfelige Blüte, Rauten-Ornamente und an chinesische Drachen erinnernde Löwenköpfe an der Eingangsschwelle.
Auch architektonische Merkmale wie die Kombination von Kuppeln und Türmen, offene Säulenhallen und mehrstöckige Bauweise erinnern mich an jainistische, nicht aber hinduistische Tempel. Eine Touristin aus Kolkata, selbst eine Jain, erklärte mir, daß der ASI nichts über diese Tempel publiziere, weil die hinduistischen Archäologen keine Möglichkeit sähen, die Jain-Natur dieser Tempel wegzuargumentieren und daher lieber Gras darüber wachsen ließen. Das mag eine Verschwörungstheorie sein, aber da die Jains heute selbst in ihren Hochburgen in Rajashtan und Gujarat nur eine Minderheit darstellen, verwundert das Schweigen über eine so hohe Konzentration an Jain-Tempeln tatsächlich ein bißchen. Es gibt nicht einmal einen offiziellen Lageplan des Fort-Geländes.
Am interessantesten ist zweifellos der Vedi Mandir, ein dreistöckiges, säulengetragenes Bauwerk mit einer zentralen Kuppel und mannigfaltiger Jain-Dekoration. Einige Säulen reichen durch große Auslassungen im Fußboden vom zweiten Stock bis auf Bodenniveau – ein bemerkenswerter Effekt. Außerdem werden die höheren Stockwerke immer niedriger, so daß das Gebäude von unten durch Vortäuschen einer perspektivischen Verkleinerung wesentlich höher wirkt.
Bei soviel Besichtigung denkt man nicht an das leibliche Wohl – und es wäre ja auch nicht viel zu bekommen. Bei einem Zwischenstop in Sayra, wo man zwischen Jeep und Bus umsteigen muß, hatte ich jedoch Gelegenheit, eine wunderbare Chili-Pakora zu essen, die die scharfe Rajasthani-Küche wunderbar illustriert: Grüne Chilies werden zunächst mit einer kräftig gewürzten Kartoffelmasse ummantelt, danach in den typischen Pakora-Teig aus Kichererbsenmehl, Salz, Natron und Wasser getaucht und danach frittiert.
Das Resultat kann wirklich überzeugen, denn je weiter man sich von der Spitze bis zur Basis des Chilies durchißt, desto schärfer wird es, und der knusprige aber milde Kichererbsenteig kontrastiert herrlich mit der weichen aber scharfen Kartoffelkomponente. So kocht man einfach aber wirkungsvoll!
Nächste Woche melde ich mich dann von einem richtig touristischen Ort, nämlich Mount Abu – das ist die einzige „hill station“ Rajasthans.
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