Exzentrische Architektur, Böhmische Kristallluster und Lammcurrys für fortgeschrittene Ansprüche
Junagadh ist meine Lieblingsstadt im Gujarat. Ich kenne diesen entspannenden Ort mit knapp 3 Lakh Einwohnern im Herzen der Halbinsel Kathiyavad schon von meinem ersten Besuch 1995, und sie ist in der Zwischenzeit nicht weniger reizvoll geworden, eher trägt der fortschreitende Verfall zur Stimmung bei.
Junagadhs Altstadtkern hat nur ein paar hundert Meter Durchmesser und läßt sich leicht erwandern. Eine schmale Marktstraße führt von meinem Hotel an einer Markthalle vorbei ostwärts zum alten Fort, etwas südlich davon liegt der Palast, und überall findet man exzentrische Architektur, deren Stil irgendwo zwischen indisch, islamisch, klassizistisch und phantastisch angesiedelt liegt. Weitere Sehenswürdigkeiten liegen etwas auswärts. Es ist kaum zu verstehen, warum so wenige Touristen diesen Ort besuchen.
Am bizarrsten sind Mausoleen von Mahabhat Khan und seinem Minister Baha ud-Din, die zusammen mit der Freitagsmoschee (Juma Masjid) ein sehenswertes Ensemble von minarettgewordenen Korkenziehern bilden. Leider verfallen diese einzigartigen Gebäude ungebremst, wie ich im Vergleich zu 1995 etwas betrübt feststellen muß; immerhin stehen sie noch, während die von IBM gestiftete nächtliche Beleuchtung mittlerweile den Geist aufgegeben hat. Interessanterweise sind die Mausoleen in Stahlbetontechnik erbaut, was im späten 19. Jahrhundert wohl der letzte Schrei am Technologiesektor gewesen sein muß.
Vom Fort existieren nur noch ein paar Mauern und zwei interessante und ziemlich alt aussehende Stufenbrunnen, von denen einer direkt in den Fels geschnitten ist, so daß man die geologische Schichtung des Gesteins fast so wie im Grand Canyon studieren kann. Sonst ist das ganze Fort renaturalisiert und mit Grünzeug bewachsen; die Einheimischen kommen hier gerne zum Spazierengehen, und die Youngsters spielen auf den offenen Flächen gerne Cricket, was ja bekanntlich der indische Nationalsport ist. Angesichts der Tatsache, daß mir die Leute immer Komplimente über das australische Cricket-Team machen, habe ich übrigens beschlossen, auf die Frage nach meiner Herkunft nur noch mit “Europe” zu antworten (ich kenne aber bereits die Namen der wichtigsten Spieler).
Der riesige Palast ist nur zu einem sehr kleinen Teil zu besichtigen, aber allein die Audienzhalle ist das Eintrittsgeld wert. Der Navab von Junagadh mag im Vergleich zu seinen rajasthanischen Kollegen ein armer Schlucker gewesen sein, aber er zeigt, daß man auch mit wenig Geld geschmackvoll wohnen kann: Böhmische Kristalluster, österreichische Sessel (letztes Mal durfte ich noch das k.u.k.-Wappen des Herstellers sehen, heute haben sie mich aber nicht mehr rangelassen) und venezianische Glasarbeiten zeugen von seiner Weltgewandtheit, während er den Teppich kostenschonend im eigenen Gefängnis knüpfen ließ. Der silberne Thronsessel ist mit Löwen geschmückt.
Stichwort Löwen: Der asiatische Löwe, der einstens vom Balkan bis nach Indien vorkam, hat nur dank der Patronage durch den Navab von Junagadh überlebt; im 1907 gegründeten Sasan-Gir-Nationalpark lebt die weltweit letzte wilde Population dieser majestätischen Tiere. Ein paar frustrierte Löwen kann man sich im Zoo ansehen, der ein umfangreiches Zuchtprogramm betreibt und den Überschuß an andere Zoos weitergibt. Neuerdings wird auch an die Auswilderung in einem Nationalpark in Madhya Pradesh gedacht, um eine zweite Wildpopulation zu etablieren. Zoos sind ja überall in Asien die reinsten Tierquäleragenturen. Einige Löwen sind zu zweit in relativ engen Schaugehegen untergebracht, aber der größere Teil lebt einem dem Publikum nicht zugänglichen Bereich; ich vermute, daß die armen Viecher im Schaugehege einem Dienstplan mit täglicher Rotation folgen.
Meine Begeisterung für Junagadh zieht sich auch ins Kulinarische. Die islamische Prägung der Stadt ist ja nicht zu übersehen und hat dem Stadtbild nicht nur Moscheen und Mausoleen beschert, sondern auch von Moslems geführte Non-Veg-Restaurants. Ich bilde mir fix ein, daß es 1995 noch mehr davon gegeben habe, aber zwei konnte ich entlang der Marktstraße noch ausfindig machen, wovon eines rasch zum Stammlokal avancierte. Als besonderen Bonus bietet es eine blaß grau–braun getigerte Katze, die gerne durch die Gaststube spaziert und von allen Leuten fast wie ein Familienmitglied behandelt wird; nach ein paar Versuchen hat sie sich auch von mir berühren lassen. Als Tourist ist man automatisch der Mittelpunkt des Ladens, jeder kommt und will sich mit mir über die australische Cricket-Nationalmannschaft unterhalten oder mich sonstwie vom Essen abhalten.
Somit kann ich mich erstmals seit Amdavad wieder fleischlichen Genüssen hingeben – und was für welchen! Hühner- und Lammcurries entsprechen fortgeschrittenen Ansprüchen und sind voller Kreuzkümmel und Garam Masala, ganz zu schweigen vom Chili, natürlich: Eine dicke, gulaschrote Fettschicht schwimmt über dem ganzen und verleiht ihm eine angenehme, mollige Schärfe. Eher untypisch für Non-Veg bekommt man auch eine rudimentäre Auswahl an geschmortem Gemüse, die ebenfalls sehr würzig und vor allem garantiert zuckerfrei auf den Tisch kommen.
Der Star des Ensembles ist der Biryani – bereits 1995 war ich der Meinung, in Junagadh den besten Biryani des Landes gegessen zu haben, und heute bestätigt sich das wieder. Biryani ist bekanntlich Fleisch und ReisBeschreibung Reis ist ein Getreide, das bereits vor 7000 Jahren..., die getrennt zubereitet und danach geschichtet und gemeinsam erwärmt werden – Restaurants kürzen die Prozedur gerne irgendwie ab, und das schmeckt man dann auch. Hier aber ist alles perfekt: Das nach Zimt und Cardamom duftende Huhn, der lehrbuchhaft körnige Basmati-Reis mit Safranaroma und einem gelben Farbton, dessen Tiefe für jedes Reiskorn individuell festgelegt zu sein scheint, und der Hauch von grünen ZwiebelnZipolle, Zippel, Bolle; Eng: onion; Franz: oignion Herkunft Zentralasien Beschreibung... und frischem KnoblauchPorree; Eng: leek, Franz: poireau Herkunft ursprünglich aus dem östlichen... geben dem Biryani eine fast überirdische Qualität.
Etwas schwieriger war es mit dem Schwarztee: Der Chay-Wallah gleich ums Eck gehört in die Klasse der Schlitzohren und verrechnet mir für einen Viertelliter 30 Rs, obwohl ich anderswo einen ganzen Liter um 40 bis 50 Rs bekomme. Desto geringer sind die Preise im Restaurant: Ein (zugegebenermaßen nicht großer) Teller Fleischcurry mit Reis und Brot kostet nämlich ebenfalls 30 Rs, also knapp einen halben Euro. Irgendwie habe ich ein merkwürdiges Gefühl, für ein exzellentes und nach indischen Vorstellungen geradezu luxuriöses Fleischgericht nur halb soviel wie für die paar Gläser Tee dazu zu bezahlen, aber Indien ist nun mal das Land der merkwürdigen Proportionen.
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