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Etappe 9 – Kathmandu I

Bikonfessionelle Tempel, grinsende Zahnärzte und kulinarisch gesehen das gelobte Land

ich bin endlich in Kathmandu angelangt, der Hauptstadt Nepals. Die Fast-Millionenstadt mitten im fruchtbaren, kühlen Kathmandu-Tal hat eine ausgedehnete, unglaublich atmosphärische Altstadt (allenfalls vergleichbar mit der von Srinagar) voller verwinkelter Straßen, in denen buchstäblich alle zehn Meter eine Sehenswürdigkeit lauert: Wunderbare holzgeschnitzte Balkone an Wohnhäusern, kleine und größere Tempel, buddhistische Stupas am Straßenrand, uralte, verwitterte Statuen, die achtlos Hauseingänge zieren, malerische Innenhöfe mit kleinen Schreinen und auch größere tibetische Klöster. Man möchte tagelang nur spazierengehen!

Marktplatz von Asan Tol

Das Kathmandu-Tal wird traditionell von den Newari bewohnt, die eine sino-tibetische Sprache sprechen und erst in den letzten Jahrhunderten von den aus Süden zugezogenen ethnischen Nepali minorisiert wurden. Die Newari-Tempel sind leicht an ihren pagodenartigen, mit Holzschnitzerein verzierten Dächern zu erkennen, und es heißt sogar, daß die Chinesen diese Bauweise von den Newari übernommen und dann in Südost- und Ostasien verbreitet hätten. Die Newari praktizieren Hinduismus oder Buddhismus, oft auch beides parallel; es gibt auch Tempel, die beiden Religionen heilig sind und in denen sich buddhistische und hinduistische Ikonographie vermischen.

Buddhistische Messingarbeit am Seto-Machendranath-Tempel

Besonders gut gefallen hat mir der „bikonfessionelle“ Tempel „Seto Machendranath Mandir“, dessen Gottheit Seto Machendranath den einen als Inkarnation Shivas, den anderen als Form des barmherzigen Boddhisattva Avalokiteshvara gilt. Umgeben von hinduistischen Kultfiguren, buddhistischen Stupas und einer überraschender­weise klassisch-griechisch anmutenden Frauen­statue steht er inmitten eines offenen Platzes in der Altstadt. Unter dem reichverzierten holzgeschnitzten Portal sitzt ein Brahmane vor einem bunten Shiva-Altar, während die Galerie mit Gebetsmühlen rund um den Tempel führt. Allein wegen der angenehmen Atmosphäre (und der Gewürz­händler am Rand des Platzes) will man wiederkehren!

HIlft gegen Zahnschmerzen? Wenn nicht:…

Recht amüsant war die Straße der Zahnärzte, die alle mit einem grinsenden Gebiß vor dem Praxiseingang werben. Passend dazu findet man am nächsten Platz einen Schrein, der gegen Zahnweh helfen soll: Man nagelt dazu eine Münze auf einen Holzblock (von dem mittlerweile nichts mehr zu sehen ist). Wenn es nach der Anzahl der Münzen geht, dann bleibt den Zahnärzten eigentlich kein Geschäft mehr übrig.

…gibt’s nebenan professionelle Hilfe

Die bekannteste Sehenswürdigkeit ist der Palastplatz (Darbar Square), der mit zahllosen Bauten im traditionellen Newari-Stil geschmückt ist. Ähnliche Plätze gibt es auch in den Städten der Umgebung, und ich schreibe lieber bei späterer Gelegenheit darüber, um diesem Brief nicht allzuviel Überlänge zu verleihen.

Gar nicht nepalisch wirkende Dame am Seto-  Machendranath-Tempel

Die touristische Infrastruktur ist sehr gut. Direkt am Rand der Altstadt liegt der Touristenbezirk Thamel, wo man sich fast in Europa wähnt: Hotels, Bars, Restaurant, Reisebüros, Souvenirläden, Internet-Cafés, Trekking-Shops, Photo-Fachgeschäfte (ich habe mir sicherheitshalber ein neues Objektiv gekauft – genau das, was in ganz Indien angeblich nicht aufzutreiben war) und alles andere, was das Touristen­herz begehrt, konzentriert sich hier in drei oder vier Straßen­zügen. Auch der größte Schatz aller Südasien-Reisenden, nämlich Toiletten­papier, steht reichlich zur Verfügung. Es ist nicht mehr vorstellbar, daß es 1950 in ganz Kathmandu nur ein einziges Hotel gab. Und es kommen nicht nur westliche Touristen: Auf der Straße sieht man auch japanische, koreanische und chinesische Gesichter, und für jede Nation haben die findigen Nepali spezialisierte Angebote geschaffen.

Holzgeschnitztes Fenster in der Altstadt

Was das Essen betrifft: Kathmandu ist das Gelobte Land. Die Newari haben eine einzigartige, pikante Küche, die sich kaum mit irgendeiner anderen Kochtradition des Subkontinents vergleichen läßt. Aber bitte verzeihe mir, wenn ich davon erst in den nächsten Briefen erzähle. Ich halte ja generell nicht viel von Reisenden, die sich anders als landesüblich ernähren (zumindest, wenn das Gastland eine einigermaßen genießbare Küche aufweist). Aber trotz der ausgezeichneten Newari-Speisen, die man in kleinen Kneipen in der Altstadt recht leicht bekommt, erliege ich dem Charme des Touristen­ghettos Thamel. Hier gibt es wegen des inter­nationalen Publikums so gut wie alles, darunter auch — Chinesisch.

má-là zǐ-jī-dīng und má-là niú-ròu sī (Hühnerbrust mit getrocknetem Chili und Sichuanpfeffer und Büffelfleisch in Chiliöl)

Du weißt ja, daß ich der chinesischen Küche ziemlich verfallen bin, zumindest wenn sie so scharf und geschmackvoll ist wie in Sìchuān oder Húnán. Besuchern chinesischer Restaurants in Deutschland oder sonstwo auf dem europäischen Kontinent mag meine Begeisterung für Chinesisch nicht nachvollziehbar sein, aber wer einmal Gelegenheit hatte, authentisches chinesisches Essen zu probieren, der wird sich rasch eine andere Meinung bilden: Daß man nämlich in China mehr vom Essen versteht als in den meisten anderen Ländern. Und so snacke ich tagsüber Newari und diniere dann Chinesisch, in einem von zwei Sìchuān-Restaurants in Thamel. Diese Restaurant wenden sich vorwiegend an chinesische Touristen: „Langnasen“ sieht man nur selten, wohl auch, weil die Karte ohne rudimentäre Chinesischkenntnisse schwer zu entschlüsseln ist.

Shuǐ-zhǔ niú-ròu oder 水煮牛肉, der harmloser­­weise „in Wasser gekochtes Rind­fleisch“ (lies: Büffel­­­fleisch) genannte superscharfe Rindfleisch­­topf, ist mein chinesisches Lieblings­­­essen und betört mit Röst- und Fermentation­aromen genauso wie mit Unmengen Chili und Sichuan­pfeffer, die die Zunge zum Vibrieren bringen.  Man bekommt auch má-là zǐ-jī-dīng (麻辣子鸡丁), mit getrockneten Chili­schoten und Sichuan­pfeffer in Öl gebratene Hühnerbrust ohne Sauce; dieses Gericht ist lange nicht so scharf wie es aussieht, weil man die Chilies nicht mitißt und das Öl durch den Brat­vorgang eine rauchig-pikante aber nicht brennende Schärfe angenommen und auf das Fleisch übertragen hat.

Zuletzt erwähne ich noch das „doppelt gebratene Schweine­fleisch“ huí-guō ròu 回锅肉, das in deutschen China­restaurants nur dem Namen nach existiert: Wie der chinesische Name „Zurück-in-den-Topf-Fleisch“ bereits andeutet, handelt es sich um kompakte Stücke Schweinebauch, die in Brühe gargekocht und nach dem Abkühlen in dünne Scheiben geschnitten werden. Diese Scheiben werden dann mit fermentierten Sojabohnen und grünem Paprika in einem zweiten Koch­vorgang gewokt und nehmen dabei eine fast knusprige Konsistenz an. Die Kellner im Restaurant warnten mich bei der Bestellung extra, daß Schwarte und Knochen dabei seien, ob mich das wohl nicht stören würde?

Zu den Dingen, die ich vorher nicht kannte, gehört das pào-jiāo niú-ròu 泡椒牛肉 „Rind­fleisch mit fermentierten Chilis“. Die Chilies sind in Essig eingelegt und verleihen dem ganzen nicht nur eine saure Schärfe, sondern auch einen strengen Geruch, fast wie Sauerkraut. Eigenwillig aber nicht unangenehm, zumal die reichlich zugefügten dünnen Streifen von rohem Ingwer einen frischen Akzent setzen. Ganz toll schmeckten auch die Streifen aus Büffel­fleisch, die in Chiliöl gebraten und mit viel Chili und Sichuan­pfeffer bestreut waren (má-là niú-ròu sī, 麻辣牛肉丝).

Etwas schlechter ist die Auswahl bei den kalten Speisen, für die Sìchuān ja eigentlich besonders bekannt ist. Aber ich habe ein ausgezeichnetes liáng-bàn niú-ròu 凉拌牛肉 gegessen, das ist in Scheiben geschnittenes mageres Rind­fleisch mit einem Dressing aus Sesamöl und Chili. Zu den Über­raschungen gehörte ein pikanter Nudelsalat namens má-là sān-sī 麻辣三丝, das heißt „drei Sorten Faden­nudeln mit málà-Geschmack“, der tatsächlich außer nach Sojasauce und Sesamöl ganz erfreulich nach Chili und Sichuan­pfeffer schmeckte. Und wer leichtere, fettarme Vorspeisen sucht, der kann erfrischende Gurken­salate knabbern, etwa suàn ní huáng-guā 蒜泥黄瓜 (mit Knoblauch und Sesamöl) oder gǎ bàn huáng-guā 玍拌黄瓜 (mit einem Chiliöl-Sojasauce-Dressing).  Auch der Salat suàn ní jiāng-dòu 蒜泥豇豆 aus grünen Bohnen und Knoblauch macht gute Laune, zumindest dann, wenn man in einem Einbettzimmer schläft.

Ich werde mich noch einige Zeit hier in der Gegend aufhalten, da die nähere Umgebung von Kathmandu viele bekannte Sehenswürdigkeiten bietet, die in Ein- bis Zweitagesausflügen erreichbar sind. Dann wird auch die Newari-Küche zu ihrem Recht kommen.

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