Schwingende Minarette, herum balanzierende Damen und ziemlich viel Fleisch
Amdavad (in Hindi: Ahmadabad, auf Englisch auch Ahmedabad), die Hauptstadt von Gujarat, ist eine lärmende, verkehrsverseuchte und schmutzige Großstadt, wie es in Indien gar nicht wenige gibt. Entsprechend hat Amdavad bei Touristen einen schlechte Ruf. Ich finde diese Stadt jedoch auch angenehm, entspannend und höchst sehenswert. Auch nach dem „heißen Empfang“, den mir die Stadt bei diesem Besuch bereitet hat und von dem ich letztes Mal berichtet habe, bleibt diese Einschätzung bestehen.
Zunächst einmal hat Amdavad einen relativ kompakten altern Kern mit zahlreichen interessanten Gebäuden, die sich in einem Areal von kaum mehr als 2 km Durchmesser drängen. Das ist zwar an der Grenze dessen, was ich als „fußgängerkompatibel“ bezeichne, aber in Amdavad ist das Fahren mit Motorrikshas einzigartig enspannt: Alle Rikshas (die übrigens mit Gas fahren und folglich erheblich weniger stinken als anderswo) haben ein Taxameter, und somit entfallen für den Touristen die langwierigen und nervenbeanspruchenden Verhandlungen, die das Zufußgehen meist als die bessere Option erscheinen lassen, und man fährt völlig streßfrei 2 km um zehn bis fünfzehn Rupees.
In diesem Kern findet man vor allem eine Anzahl von Moscheen, die zu den besten Beispielen des indo–sarazenischen Baustils gehören: Indischer Figurenreichtum verbindet sich dabei mit islamischer Schlichtheit. Reichdekorierte Säulen erinnern an die opulente Hindu-Ornamentik, aber natürlich zeigen sie keine menschlichen Figuren, sondern Ornamente oder Pflanzenmotive. Besonders berühmt sind die unglaublich fein gearbeitet Steinfenster des Sidi-Saiyad-Moschee, mit einem kunstvoll verschlungenen Lebensbaum, der aus einer einzigen Steinplatte geschnitten ist.
Die Freitagsmoschee (Jami Masjid) wird zu den schönsten Moscheen des Subkontinents gezählt. Die Verzierungen am Portal sehen wirklich fast wie in einem Hindu-Tempel aus, wie ein Detailvergleich mit dem Vishvanatha-Tempel in Khajuraho hoffentlich klar zeigt. Sehr bekannt sind auch die „schwingenden Minarette“ der Sidi-Bashir-Moschee gleich am Bahnhof, die durch diese spezielle Konstruktion besonders erdbebenfest sind – das letzte große Erdbeben von 2001 haben sie jedenfalls gut überstanden. Die schönste Steinmetzkunst findet man in der winzig kleinen Rani-Sipri-Moschee mit ihren wunderbar geschmückten Minaretten und Balkonen.
Das interessanteste Bauwerk ist jedoch ein Brunnen, genauer gesagt, ein Stufenbrunnen. Dieser Brunnentyp ist im ganzen Nordwesten verbreitet, aber besonders hier in Gujarat gibt es wunderschöne Exemplare. Bekanntlich bauen die Inder ja gerne Stufen (Ghat) an Flußufer, damit der Wasserspiegel immer in Reichweite ist; ein Stufenbrunnen funktioniert nach demselben Prinzip.
Der Dada Hari Waw ist der schönste Stufenbrunnen, den ich in Indien kenne. Er ist fünf Stockwerke tief in die Erde gebaut: Vom Eingang führt eine Treppe in die Tiefe, und alle paar Meter sind mehrfach durchbrochene Zwischendecken eingezogen, die die von Säulen getragenen Stockwerke bilden. Die Spalten in den Decken erlauben es dem Licht, auch noch die unterste Etage passabel zu erleuchten; dafür muß, wer die Haupttreppe verläßt, aber auch ziemlich herumbalancieren, um nicht abzustürzen.
Am hinteren Ende durchbricht ein achteckiger Schacht alle Stockwerke in schön gearbeiteten steinernen Balustraden. Dieser Teil des Brunnens ist am hellsten, und offenbar hielten sich hier auch die Damen auf, für die der Brunnen im 16. Jahrhundert gebaut worden war: Knapp über dem Wasser, im Schatten und verborgen vor den Blicken anderer, das muß für eine muslimische Dame ja geradezu herrlich verlockend gewesen sein. Zwei enge Wendeltreppen rechts und links vom achteckigen Schacht erlauben es, rasch zwischen des Etagen zu wechseln, ohne vorher zur Haupttreppe vorzuturnen.
Obwohl die Muslime in Amdavad nur eine Minderheit sind, prägen sie doch das Stadtbild mehr als die Hindus und Jains. Zufällig geriet ich in das muslimische Neujahresfest Muharram, das hier Moharam genannt wird: Die Schiiten führen dabei unzählige wie winzige Moscheen oder Mausoleen gestaltete Wagen durch die Straßen, um an den Tod Husseins (des Sohnes von Ali) in der Schacht von Kerbala zu erinnern. Die Wagen (Tajiya) sehen ein bißchen so aus wie bei einem orientalisch angehauchten Faschingsumzug, und zu meinem Erstaunen trugen sie alle feinsäuberlich eine Registrierungsplakette mit einer von der Stadtverwaltung vergebenen laufenden Nummer. Eigentlich sollte das ein rein schiitisches Fest sein, aber die Sunniten (und manchmal auch die Hindus) feiern gerne mit.
Durch die Trommelmusik und die Gesangschöre wirkte der Umzug ziemlich hinduistisch, zumal manche Wagen sogar mit menschlichen Figuren geschmückt waren, die hinduistischen Göttinnen zum Verwechseln ähnlich sahen; die Beeinflussung des indischen Islams durch Hinduismus ist eben nicht auf Architektur beschränkt. Gegen Abend mischten sich dann auch noch feuerspeiende Artisten unter das Publikum, und noch später kam es zu einer Schlägerei nahe meinem Hotel – das ist im Amdavad leider nichts Ungewöhnliches, und wenn es (wie auch diesmal) keine Tote gibt, dann verbucht man den Vorfall einfach unter „Ferner liefen…“.
Besonders stark spürt man das muslimische Element in einem Marktviertel nur wenige Gehminuten von meinem Hotel, wo man allerlei Tiere lebendig oder tot kaufen kann (es riecht immer ein bißchen nach einer Mischung von Hühnerdreck und verwesendem Ziegenschädel) und wo auch eine Anzahl von muslimischen Non-Veg-Restaurants steht. Kleine Restaurants bereiten in großen Töpfen an der Straße Ziegen- und Hühnercurries, die sich als fettig aber sehr aromatisch erwiesen. In dieselbe Klasse fällt auch Kheema, ein Curry aus gehacktem Lammfleisch.
Außerdem bekommt man „Tanduri-Huhn“, das allerdings nicht im Tandur, sondern über Holzkohle gegrillt wurde, und das als Grundlage für einen als „Biryani“ bezeichneten gebratenen ReisBeschreibung Reis ist ein Getreide, das bereits vor 7000 Jahren... dient oder das mit etwas Schmorflüssigkeit irgendeines Hühnercurries zu jener eigenartigen Speise aufgebraten wird, die man als „Tikka“ bezeichnet und die nicht aus Indien, sondern aus Birmingham stammt, wo sie von Betreibern indischer Restaurants erfunden und später nach Indien reimportiert wurde.
Auf den Straßen rund um das Marktviertel wimmelt es von verschiedenen Essensangeboten, von Samosa bis Biryani. Die Samosa werden hier aus Blätterteig gemacht und mit Fleisch gefüllt – nirgendwo sonst in Indien habe ich Fleischsamosa gegessen, wie man sie in deutschen Indien-Restaurants kommentarlos angeboten bekommt. Man bekommt auch frittierte Bällchen, die zumindest aus Fleisch und (europäischem) Weißbrot bestehen und irgendwie an kroatische Ćevapčići erinnern, und Hühner- oder Lamm-Kabab auf Spießen (etymologisch sind die beiden Wörter ohnehin verwandt). Der Biryani wird, wie auch in den Restaurants, auf die „Schnellmethode“ zubereitet: Sorgfältig mit Gewürzen gekochter Basmati-Reis wird entweder pur oder mit Hühner- bzw. Fleischcurry auf einer heißen Platte angebraten. Dieses Verfahren ist in der Gastronomie recht beliebt, weil man den Reis nur einmal kochen muß und trotzdem mehrere Biryani-Varianten anbieten kann; außerdem bekommt der Reis durch das Anbratenkurzes Braten von Fleisch oder Gemüse in Fett bei großer... eine angenehme Konsistenz. Geschmacklich hinkt der „Schnell-Biryani“ dem Original leider doch merklich hinterher.
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