Versteinerte und lebendige Götterbildnisse, psychedelisches Leuchten und non light snacks
nur 25 km von Patan entfernt steht ein bemerkenswerter Tempel: Der Sonnentempel von Modhera. Dieses spektakuläre Gebäude und alles, was damit zusammenhängt, war mir einen Tagesausflug wert und gibt auch genug Stoff für einen ganzen Brief.
Dem Sonnengott Surya gewidmete Tempel sind sehr selten. Der größte und beeindruckendste steht in Konark in Orissa, und angeblich gibt es in Kashmir einen dritten, aber der von Modhera ist jedenfalls der einzige im Westen Indiens. Mit etwa 1000 Jahren ist er etwas älter als der von Konark, hat aber ebenso wie sein großer Bruder an der Ostküste nur als Ruine überlebt. Allerdings ist er ziemlich herausgeputzt, und nur der fehlende Tempelturm erinnert noch daran, daß hier vor 100 Jahren nur Trümmer lagen.
Betritt man das Tempelareal, so kommt man zuerst einmal an einem Kund vorbei: Das ist eine Art künstlich angelegter, rechteckiger Teich, der manchmal auch als ein Typ Stufenbrunnen interpretiert wird, weil von allen vier Seiten Stufen nach unten führen, was ein bisschen an ein Stadion erinnert. Dieser Surya Kund ist überall mit kleinen Schreinen geschmückt, in denen teilweise noch Kultstatuen erhalten sind.
Am Westrand des Surya Kund schließt die Vorhalle des Tempels (mandapa) an. Wie der eigentliche Tempel ist sie außen und innen mit Skulturen und Reliefen verziert, die hauptsächlich mythologische oder erotische Szenen zeigen. Auch der Haupttempel zeigt auf einem ringsum laufenden Fries Darstellungen aus dem täglichen Leben, darunter viele erotische; das Auge wird aber vor allem von den großen Götterstauen auf den Außenwänden in den Bann gezogen, darunter mehrere von Surya selbst, wie er den mit sieben Pferden bespannten Sonnenwagen lenkt. Das säulenverzierte Innere besticht mit vielen weiteren Reliefs und beherbergt im Zentrum den Raum für das allerdings nicht erhaltene Kultbild, das (mit der rechten Hand innen) umwandelt werden kann. Ein tiefer schachtartiger Raum darunter war angeblich einmal mit Gold gefüllt, so erzählte mir der Führer, aber das hätten die Moslems bei irgendeiner Gelegenheit mitgenommen.
Es ist kein Zufall, daß ich den Surya Mandir ausgerechnet heute besuche: Heute ist nämlich der dritte und letzte Tag des “Modhera dancing festival”, und bizarrerweise war deshalb der Eintritt zum Tempel gratis (das freiwerdende Geld hatte ich dann in einen Führer investiert). Gegen Abend wurde das ganze Gelände psychedelisch beleuchtet und gab dann die Kulisse zu einem Ballett ab, bei dem junge Frauen in bunten Kostümen zum Klang traditioneller Live-Musik mythologische Stoffe vortanzten. Jede Episode wurde zuvor in Hindi (oder war es Gujarati?) angekündigt und vorgestellt, und davon hatte ich natürlich nichts; trotzdem ließ sich einiges erkennen und zuodnen.
Ich hatte mich bereits tagsüber gefragt, ob die Aberhunderte von Stühlen am Abend wohl auch gebraucht würden, und meine Skepsis stieg, weil um sieben Uhr noch alles leer stand, während semiprofessionelle Hörproben aus der ausgezeichneten Sound-Anlage schallten und die nicht weniger funktionale Lichttechnik kalibriert wurde. Sollte das ganze wirklich in einer leeren Arena stattfinden? Das dann doch nicht. Offenbar war ich eben der einzige gewesen, der die Ankündgung „sieben Uhr“ ernst genommen hatte; aber um 7:30 began sich schlagartig alles zu füllen, und noch eine Viertelstunde fing das Programm endlich an. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich längst einen Sitz mit bester Sicht in Besitz genommen, denn die drei oder vier Gruppen von Ausländern wurden selbstverständlich ohne viel Aufhebens in den VIP-Bereich geführt.
Die Aufführung zeigte dann alle Stärken, für die indischer Tanz berühmt ist: Musik, Farben Formen und Bewegung, wobei mein privilegierter Sitz mir deutlich zeigte, daß die Choreographie selbst die kleinste Fingerbewegung penibel vorgab. Das Ensemble bestand aus geschätzt etwa 15 Tänzerinnen, von denen jedoch meist nur eine Handvoll zugleich auf der Bühne zu sehen war.
Die vorletzte Szene zeigte zufällig genau jene Episode, von der ich Dir in meinem letzten Brief aus Patan erzählt hatte und die auch in meinem Brief aus Tansen erwähnt wird: Den Kampf zwischen Durga und Mahisha, einem starken Asura (das ist eine Gruppe von Dämonen), der nur besiegt werden konnte, weil sich Durga für den Kampf Waffen von allen Göttern ausborgte. Wenn Du die bildliche Darstellung mit dem Tanz vergleichst, so fällt die strenge ikonographische Übereinstimmung auf: Der Löwe steht links, der Asura rechts (und blickt nach links), der Trishul zeigt im gleichen Winkel herab, und auch wenn das Ballett auf die vielen Arme der Göttin und auch auf den Wasserbüffel verzichten muß, so sorgt die Übereinstimmung in den Details dafür, daß der Zuseher die Szene sofort erkennt.
Durch den verspäteten Beginn stellte sich die Frage, wie ich denn wieder nach Patan zurückkommen würde – um zehn Uhr abends verkehren garantiert keine Linienbusse mehr. Ich hatte allerdings bereits im Vorfeld in Erfahrung gebracht, daß ein Sonderbus nach Patan nach dem Ende der Veranstaltung abfahren würde, und nun hatte ich nur noch sicherzustellen, daß der Busfahrer von der Verzögerung auch wußte (man weiß ja nie, und Vorsicht ist besser als Nachsicht). Alles klar, versicherte man mit, um zehn Uhr geht es los. Folglich war ich fünf vor zehn vor Ort, und fünf nach zehn setzte sich das Gefährt wirklich in Bewegung, mit satten drei Passagieren, denn die Massen begannen gerade erst, beim Tor herauszuströmen – der Fahrer hatte es wohl eilig und wollte rechtzeitig zum Abendessen daheim sein, allen betriebswirtschaftlichen Überlegungen zum Trotz.
Das bringt und ganz zwanglos zur Frage, wovon ich mich den langen Tag in Modhera denn so ernährt habe. Die beste Approximation an ein Restaurant im Tempelbezirk war eine Bar mit Snacks, bei der ich mehrmals einfiel, nicht zuletzt auch, um mit dem Laptop die Bilder kritisch zu inspizieren und im Fall von kompletten Pleiten mal schnell eine Statue nochmals abzulichten. Zu essen gab es definitiv nicht viel; nach indischen Verhältnissen hätten sich die angeboteten Speisen gerade mal zu einem etwas herzhafteren Frühstück geeignet. Der Vorteil war, daß sie wenig gujaratisches Lokalkolorit trugen und daher weitgehend zuckerfrei zubereitet waren. Andererseits war alles frittiert und daher nicht ganz light.
Als Mittagsimbiß verzehrte ich Puri, das ist ungesäuertes Brot, das beim Frittieren eine Ballonform annimmt. Es wurde mit einem Kartoffelcurry gereicht, der mit Chili, Kreuzkümmel und Curcuma gewürzt war; diese Kombination ist in vielen Teilen Nordindiens als Frühstück verbreitet, obwohl nach europäischen Maßstäben das fettige Puri am Morgen gänzlich ungeeignet ist. Tagsüber schmeckt es mir dagegen sehr gut, vorausgesetzt, man ißt es, solange es warm ist; nach dem Abkühlen wechselt es nämlich von knusprig nach zäh, und es scheint pötzlich auch viel fetter zu schmecken.
Zwischen Tempelbesichtigung und Tanzfest kam ich dann nochmals zurück und versuchte mich an Gota, das sind walnußgroße frittierte Bällchen, die hier mit einer süß–scharfen Sauce gereicht werden. Sie können aus verschiedenen Ausgangsmaterialien hergestellt sein: Alu Gota sind einfach eine Art frittiertes Kartoffelpüree, und Methi no Gata bestehen aus Weizenteig, der mit gehackten frischen Bockshornkleeblättern angereichert ist.
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