Von rosaroten Hindi-Schnulzen, Touristenmassen in schnurgeraden Straßen und Tee mit ganz viel Pfeffer
nun bin ich also in Rajasthan, dem „Land der Könige“, dem touristisch beliebtesten und in den Indien-Prospekten aller Reiseanbieter entsprechend repräsentierten Bundesstaat. Hier reist man im Troß der Touristenmassen und Massentouristen – aber es ist das auch wert. Mit Jaypur besuche ich gleich zu Beginn einen der überlaufensten Orte, wo man alle negativen Begleiterscheinungen des Tourismus auf engstem Raum und im höchsten Ausmaß studieren kann, und (wenn dazu Zeit bleibt) auch einge der beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten Rajasthans zu Gesicht bekommt.
Eigentlich wollte ich ja zuerst nach Bundi, aber nach der 23stündigen Busfahrt von Jammu stand mir nicht der Sinn nach weiterem Transport. Also blieb ich hier, und das war eine gute Entscheidung: Nach einer Stunde in der Stadt macht mein Laptop mit kaputtem Mainboard schlapp, aber hier, in der Hauptstadt, läßt sich so etwas relativ leicht reparieren; und die Zeit konnte ich zu Spaziergängen in der atmosphärischen “Pink City” nutzen. Darunter versteht man ein ungefähr rechteckiges, ummauertes und mehrere Kilometer großes Areal, dessen Häuser nach einem gemeinsamen Plan errichtet und schweinchenrosa angepinselt sind. Die schnurgeraden Straßen sind von Bazaren gesäumt, in denen man von Seidensaris und Chilis bis zu Digitalkameras so ziemlich alles kaufen kann, und zwar (wie im Orient üblich) gassenweise nach Branchen geordnet.
Das Wahrzeichen der Stadt ist der Hava Mahal, der „Palast der Winde“, eine großartige Fassade mit minimalem Hinterbau, der nur erichtet wurde, um den feinen Damen der Stadt eine standesgemäße Kulisse zum Auf-die-Straße-Blicken zu verschaffen. Außerdem gibt es noch einen Stadtpalast, eine Cenotaphensammlung und eine astronomische Sternwarte namens Jantar Mantar, was „Gerät und Formel“ bedeutet (Sanskrit: Yantra Mantra) und in diesem Zusammenhang soviel wie „Praxis und Theorie“ heißen soll. Man findet dort unter anderem eine knapp 30 m hohe Sonnenuhr mit einer Ganggenauigkeit von ein paar Sekunden; der Schatten der abgeschrägten Mauer fällt auf zwei viertelkreisförmige Skalen rechts und links der Mauer. Sehr sehenswert ist noch der Palast in Amer, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, der auch gerne als romantische Kulisse für Hindi-Schnulzen dient. Zu diesem Anlaß habe ich mir in einem der großen Kinopläste auch ein solches Bollywood-Produkt angesehen, man kriegt aber irgendwie Zahnweh von all dem süßen Kitsch.
Auf den Gewürzbazaren fiel mir gleich auf, daß man neben dem üblichen ziegelroten Chilipulver auch ein hochrotes und wesentlich milderes Produkt bekommen kann, das etwa mit mittelscharfem umgarischen Rosenpaprika vergleichbar ist und als deshi mirch (also „Chili vom Land“, im Sinne von „einheimisch“) bezeichnet wird, um es von den aus anderen Bundesstaaten importieren Standard-Scharfmachern zu unterscheiden. Auch der schwarze Cardamom ist sehr stark vertreten und dominiert sogar die hier übliche Version der Garam-Masala-Mischung, die sonst überall grünen Cardamom bevorzugt.
Die Verpflegung in Jaypur fährt zwei verschiedene Schienen: Zum einen gibt es durch die fürstliche Vergangenheit und mit ihrem vom Mogul-Stil beeinflußten Lebensstil vielfach sehr gute mogulische Küche, darunter ganz ausgezeichneten Biryani mit Schaf- oder Hühnerfleisch; die echten Spezialitäten der rajasthanischen Hindu-Küche schmecken dagegen eher rustikal und sind mitunter von überraschender Schärfe. Die beiden Kochstile sind auch räumlich getrennt, da die fleischlastige mogulisch inspierierte Küche von Moslems gepflegt wird, von denen die meisten vor dem Westtor der Pink City (Chandpol) ihre Restaurants betreiben.
Neben dem Biryanis (leider mit Lebensmittelfarbe und nicht mit Safran) bekommt man dort auch diverse Schmorgerichte (Korma) verschiedener Schärfe, die mit großzügigen Mengen ganzer Pfefferkörner punkten können. Auch mit dem Lehmofen können die Jaypuris gut umgehen, und so bekommt man nicht nur knuspriges Fladenbrot wie tanduri roti und nan, sondern auch tandoori chicken und sogar tandoori fish.
Die billigsten Verpflegungsstätten in der Pink City servieren dagegen Hindu-Spezialitäten, z.B. Mirch Masala, das sind einfach grüne Chilischoten, die notdürftig entkernt und danach als Gemüse mit ZwiebelZipolle, Zippel, Bolle; Eng: onion; Franz: oignion Herkunft Zentralasien Beschreibung... und Gewürzen in der Pfannefranzösisch in der Pfanne gebraten geschmort werden. Das hinterläßt Eindruck bei den Schweißdrüsen! Auch andere Gemüsegerichte haben durchaus Pepp; man findet das ganze Ensemble der nordindischen Gemüse, von Blumenkohl bis zu Okra. Dagegen schmeckt das Dal etwas lasch, aber da bin ich wohl noch aus Jammu verwöhnt.
Nach all den scharfen Speisen hatte ich dann Durst bekommen und versuchte, einen Teehändler in der Altstadt davon zu überzeugen, daß er mir fünf Gläser ungezuckerten Schwarztee verkaufen solle – das ist in Indien nur wenig einfacher als es in Deutschland wäre, authentisches indisches Essen zu bekommen. Er besprach sich mit einem Passanten, der sich (in besserem Englisch) bei mir nach der Richtigkeit der Bestellung erkundigte und neugierig nachfragte, wo denn meine vier Freunde seien. Schließlich machte sich der Chay-Wallah an die Kocherei und zeigte mir mit verschmitzter Miene einen Sack voller Pfefferkörner als optionale Zutat zum Tee; auf mein begeistertes Nicken hin mahlte er sie auf einer Steinplatte staubfein und ließ Wasser, Teeblätter und einen guten Teelöffel Pfeffer gemeinsam minutenlang kochen. Die Folge war auch nach dem Abseihen ein ordentliches Sediment aus Pfefferpulver, das nach und nach weitere Schärfe abgab, so daß die letzte Tasse schon eher wie ein Pfeffer-Chutney schmeckte. Ich nahm mir vor, Stammkunde zu werden.
Sehr erfreulich ist die Auswahl an Eisspezialitäten. Trotz der „kalten“ Jahreszeit kann man hier tagsüber schon mit 25 Grad rechnen, und da entwickle ich doch Lust auf ein Eis oder einen Shake. Man findet die auch aus Europa bekannten Eissorten, von Schokolade bis Black Currant, aber es gibt auch landestypische Schleckereien: Safran–Pistazie gehört zu meinen Lieblingen, und ganz besonders toll finde ich Kewra. Das Eis bekommt man entweder pur in Tüten oder Bechern, oder auch als Shake gemischt mit einer offenbar mit einem Verdickungsmittel cremiger gemachten Sahne; ein Shake mit zusätzlich schwimmender Kugel Eis heißt Float, und das hat sich eindeutig als meine Lieblingsform erwiesen.
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