Bundi – Ein voyeuristischer Maharadscha, blaues Weiß und ein Kochkurs in Mamas Wohnzimmer
ich bin mittlerweile in Bundi, gewissermaßen der Antithese zu Jaypur. Bedingt durch Unfälle, Staus und und die idiotische indische Art, bei jedem Stau sofort kreativ auf Gegenfahrbahn, Straßenrand oder Kuhwiese auszuweichen, um sich irgendwo vorbeizuschlängeln, dauerte die Fahrt von Jaipur nach Bundi satte sieben Stunden; danach bezog ich meine Wohnung in einem alten Haveli, einem traditionellen Haus der Region, und fühlte sofort neuen Frieden in mir.
Bundi ist mit etwa 1 Lakh Einwohner relativ klein und von fußgängerkompatibler Ausdehnung. Die Stadt liegt am Fuß eines Hügels, der auf seinem Rücken eine Befestigungsanlage und auf halber Höhe den Stadtpalast trägt. Letzterer erinnert wegen der massiven Bauweise und der schrägen Hanglage ein bißchen an den Potala in Lhasa, ist aber im typische rajputischen Stil gehalten und durchwegs recht prächtig, wenngleich nicht viel anders als andere Paläste.
Sehr sehenswert ist dagegen die Chitrasala, das ist der Lebensbereich der Lieblingsfrau des Maharajas: Neben einer kleinen aber hübschen Gartenanlage stehen die Wohnräume, die innen mit Fresken überreich dekoriert sind. Den Türsteher machte ein Archäologe, der mir gegen ein kleines Trinkgeld auch die nicht so offensichtlichen Dinge erklärte wie z.B. die Glaskachel im Dach des königlichen Schlafraumes, durch die sie ihr offenbar chronisch unterbeschäftigter Ehemann bei Bedarf beobachten konnte. Auch ein Fresco vor dem Schlafgemach zeigt den offenbar zu seinem Voyeurismus stehenden Maharaja, wie er aus dem ersten Stock einer Dame beim Anziehen zusieht.
Die Altstadt liegt innerhalb einer noch teilweise erhaltenen Stadtmauer und versprüht den typisch rajasthanischen Charme: Havelis mit orientalisch anmutenden Flachdächern drängen sich dicht an dicht. Von der Bundesstraße 12 aus hat man einen wunderbaren Blick auf dieses eigenartige Häusermeer, wobei viele Gebäude in einem sanften Himmelblau koloriert sind. Dieser Blauton, der auf Hindi unverständlicherweise als „Weiß“ bezeichnet wird, sollte eigentlich den brahmanischen Familien vorbehalten sein, aber heute ist er eher eine Modeerscheinung geworden. Abends werden Palast, Burg und einige Sehenswürdigkeiten sogar mit Flutlicht angestrahlt, und das macht einen phantastischen Eindruck (Stromausfall habe ich keinen erlebt).
Du weißt ja, daß ich bei der Unterkunft nicht wählerisch bin: Ein Bett und eine Steckdose sind mir im Prinzip genug. In Bundi habe ich jedoch ganz gegen meine Gewohnheiten einfach nur wunderschön gewohnt: Im “R. N. Haveli”, das ist einer der vielen erfolgreichen privaten Übernachtungsangebote in der Altstadt. Er wird von einer älteren Dame geleitet, die als Witwe mit vier Töchtern eigentlich zur Armut prädestiniert schien. Statt aufzugeben, versuchte sie es mit Ausbauen des Familien-Haveli zu einer einfachen aber stilvollen Unterkunft, den sie zuerst zusammen mit den noch unverheirateten Töchtern, mittlerweile aber mit einer Enkeltochter bewirtschaftet. Trotz einer rühmlichen Erwähnung im Reiseführer und einem folglich sehr befriedigenden Buchungsstand ist die Atmosphäre im Haus immer noch freundlich und wenig geldorientiert, irgendwie weiblich und sehr heimelig – entsprechend ist der Betrieb besonders bei alleinreisenden Frauen beliebt, die mal eine Auszeit vom ständigen Angestarrtwerden nehmen wollen. Es ist wirklich kein Wunder, daß alle die Guesthouse-Besitzerin nur “Mama” nennen.
Im R. N. Haveli kann man aber nicht nur mit interessanten anderen Reisenden spannende Gespräche im schattigen Garten führen, sondern man kann auch essen. Früher hat Mama noch selbst gekocht, mittlerweile ist ein Koch angestellt, der allerdings nicht Restaurant-Stil, sondern wirkliche Hausmannskost produziert. Die Sachen sind recht mild gewürzt und vergleichsweise fettarm gekocht – der hohe Fettverbrauch in den Restaurants kommt ja auch daher, daß man die Speisen jederzeit schnell fertigstellen will; zu Hause dagegen wird gegessen, wenn fertiggekocht ist. Nachdem meine Marotte mit einem Liter ungezucktertem Schwarztee pro Mahlzeit einmal zur Kenntnis genommen wurde, entwickelte sich das tägliche Abendessen im Touristinnenkreis bei mir gleich zum ganztägig herbeigesehnten Ritual.
Der R. N. Haveli kann aber auch als ganz gewöhnliches Restaurant besucht werden; die Gäste speisen dann mehr oder minder gleichzeitig mit den Übernachtungsgästen im gemütlichen Wohnzimmer. Davon machte unter anderem eine bengalische Touristenfamilie Gebrauch, die den kurzen Urlaub ihrer in den USA lebenden Tochter dazu nutzte, per Privatchauffeur durch Rajasthan zu ziehen und die das ständige Restaurantessen satt hatte, obwohl sie zum Übernachten geräumige Upper-Class-Hotels vorzog. Mutter und Tochter bestritten den größten Teil der Unterhaltung, trugen sich anschließend mit warmen Worten in Gästebuch ein und verteilten ihre Visitenkarten an alle Ausländer, mit der Bitte, sich doch zu melden, sollten sie mal nach Kolkata kommen.
Um aber das Glück voll zu machen, bietet “Mama” auch noch einen sogenannten „Kochkurs“ an, was in der Praxis aber eher eine Demonstration als ein Kurs ist. Dazu geht die würdige ältere Dame in die Küche und bereitet mit jahrelang eingeübter Geschicklichkeit nach Wunsch einige typische Gerichte aus der rajasthanischen Hausmannskost zu. Ich hatte mit Bharta oder Bhurta gewünscht, das ist gekokelte und dann geschmorte Aubergine. Dazu wird die Aubergine je nach Verfügbarkeit einige Minuten auf der Gasflamme oder im Tandur oberflächlich verkohlt; das muß so langsam geschehen, daß das Auberginenfruchtfleisch in dieser Zeit zumindest teilweise gegart wird. Danach schält man die verkohlte Haut ab, hackt das schon recht mürbe Fruchtfleisch klein und schmort es mit den üblichen nordindischen Gewürzen kurz an. Die kokelige Vorbehandling ergibt einen sehr pikanten, rauchigen Geschmack.
Etwas weniger traditionell verfuhr “Mama” mit dem Alu Gobhi, jenem in ganz Nordindien verbreiteten Schmorgericht aus KartoffelnÄdäppel, Erdapfel, Erdbirne, Erdling, Grumbeer; Eng: potato; Franz: pomme de... und Karfiol. Die Kartoffeln wurden geschält und geschnitten, der Karfiol zerteilt und alles wurde kurz mit Gewürzen angeschmort, ehe es mit einer ganzen Menge Wasser im Dampfdruckkochtopf landete. “Saves Energy”, meinte sie grinsend. Beim Chili zeigte sie große Zurückhaltung und verwendete nur den höchstens mittelscharfen deshi mirch, nicht aber das übliche Chilipulver; da ich sehnsüchtig auf die Chilidose blickte und sanft anmerkte, es könnte doch durchaus einmal ein bißchen schärfer sein, reichte sie mir eine Handvoll große grüne Chilies, die zwar roh geknabbert nicht besonders scharf waren, aber als Masala-Zutat eine zufriedenstellende Wirkung entfalteten.
Der Tee wurde tagtäglich anders hergestellt; manchmal ganz plain, also nur mit Schwarztee und Wasser, manchmal mit schwarzem oder langem Pfeffer, Cardamom oder IngwerHerkunft Ostasien Beschreibung Der Wurzelstock des Ingwers gehört zu den... gewürzt und einmal sogar unter Zusatz von trockener Pfefferminze. Mein in Jaypur gewonnener Eindruck, daß Rajasthan das Zentrum der Masala-Chay-Produktion sei, verfestigt sich zusehends: Auch die Teestände am Straßenrand bieten immer ein Geschmackserlebnis, denn zumindest eine gequetschte oder geraspelte Ingwerwurzel ist eigentlich immer drin. Für die indische Klientel wird natürlich immer mit Milch und Unmengen von Zucker gekocht, aber es erweist sich meist als möglich, diese Zutaten auch abzubestellen; zumindest wenn man gleich einen halben Liter oder mehr bestellt, dann tun sich die Chay-Wallahs die Extraarbeit gerne an.
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