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Nachschlag

Etappe 1 – Jammu

Lebenslustige Affen, ein französisches Landschloss und ganz viel Butter

ich bin immer noch in Jay-and-Kay; wenn Du jetzt an die „Men in Black“ (oder, etwas weniger offensichtlich, an Coulomb- und Austauschoperatoren) denkst, liegst Du aber ganz falsch. Das nämlich die übliche Aussprache des schwerfälligen offiziellen Namens „Jammu and Kashmir“ für den nördlichsten Bundesstaat Indiens.

Während das Hochtal von Kashmir mit der Sommerhauptstadt Srinagar mitten im Himalaya liegt, ist es im Südteil des Bundesstaates nur mehr hügelig. Jammu fungiert als Winterhauptstadt, da es nun hier wesentlich milder ist als in Srinagar, wo ich vergangene Woche noch bitter frieren musste.



In Jammu leben überwiegend Hindus, auch ein paar Sikhs und Moslems, und die Stadt ist voller Tempel, von denen viele bundesweit bekannt und Ziele organisierter Wallfahrten sind.  Der lokale Fürstenpalast (Amar Mahal) sieht bizarrerweise wie ein französisches Landschloss aus; mehr Stilsicherheit beweist der mogulische Garten, der dank drakonischer Strafen für Verschmutzer so sauber ist, wie etwas sauber sein kann, das von einer Horde lebenslustiger Affen bewohnt wird.

Der Fürstenpalast Amar Mahal

Gleich daneben markiert ein riesiger Fisch mit weit geöffnetem Maul den Eingang zu einem Aquarium und Marinemuseum; etwas ungewöhnlich für ein der Aquaristik verschriebenes Etablissement sind allerdings die ausführlichen Tipps zur sachkundigen Zubereitung von Fisch, gleich neben den Hinweisen zur erfolgreichen Aquariumspflege.

In den Tempeln herrscht leider Photoverbot; angeblich aus Sicherheitsgründen; und es ist auch nicht leicht zu umgehen, da die Armee über seine Einhaltung wacht. Aber auch die Märkte vor den Tempeln sind sehenswert: Dort kaufen die Hindus unter anderem Opfergaben, die sie dann im Tempel an die Brahmanen weiterreichen (und diese wahrscheinlich in der Nacht an die Händler zurückgeben), und man sieht allerhand phantasievoll kostümierte Gestalten, die sich als Bettler mit religiösem Anstrich verdienen.



Ich logiere in der Soma Lodge gleich am Busbahnhof. Der Name verweist nicht auf die in den Veden beschriebene Droge, sondern auf den Besitzern, Herrn Soma, der mir als eine Art Fremdenführer den Weg zu allen interessanten Sehenswürdigkeiten der Stadt beschrieb und mich sogar mit selbstgekochten Leckerbissen verwöhnte, aber dazu später mehr.

Bettler im Affenkostüm

Jammu hat ein bis zwei Millionen Einwohner, viele davon Flüchtlinge aus dem Hochtal von Kashmir, wo es mittlerweile kaum noch Hindus gibt. In der Stadt drängen sich die Häuser dicht an dicht, mit winzigen Gässchen dazwischen, die meiner Meinung nach selbst dann für einen Fahrradfahrer zu schmal wären, wenn sie nicht mit Unrat, fliegenden Händlern und schwatzenden Nachbarn angefüllt wären; die indische Realität sieht natürlich anders aus, und so bewältigen wild hupende Motorradfahrer im Minutenabstand diesen Hindernisparcour.

Noch schlimmer sieht es auf den wenigen Strassen aus, die breit genug für mehrspurigen Motorverkehr gebaut sind. Da die Gehsteige (die gibt es wirklich, auch wenn man sie lediglich für überdachte Abwasserkanäle halten möchte!) ohnehin mit Händlern und parkenden Fahrzeugen voll sind, teilen sich Fußgänger, Kamele und Motorfahrzeuge die schmale Fahrbahn. Das wirkt dann ein bisschen so, als ob ein paar Tausend LSD-Junkies im Horrortrip wenig erfolgreich versuchen, sich als unschuldige Verkehrsteilnehmer zu tarnen. Regelmäßige Verkehrsschilder mit Aufschriften wie „Speed thrills but kills“ setzten da keinen wirklichen Kontrapunkt.

Blumenhändler vor einem Tempel

Kulinarisch ist Jammu nicht wirklich herausragend, aber der riesige und quirlige Busbahnhof ist voller kleiner Restaurants mit vegetarischer Standard-Hindu-Küche, und im moslemischen Viertel bekommt man auch kashmirische Fleischgerichte zu kosten. Die Auswahl an verschiedenen Hülsenfrüchten (dal) ist allerdings bemerkenswert: Linsen, Bohnen und Erbsen in grosser Vielfalt, die meist einfach in Wasser gekocht und vor dem Servieren in einer Fett-Gewürz-Mischung (tarka) geschwenkt werden. Dazu brät man Zwiebel, Knoblauch, Ingwer, grüne Chilies und trockene Gewürze (vor allem Kreuzkümmel) in Öl an, rührt einen Schöpflöffel der gekochten Hülsenfrüchte ein und lässt ein oder zwei Minuten andicken.

Mushroom-Curry

Mein Hotelier, Soma, wurde von mir mit einigen kulinarischen Fragen gelöchert und erbot sich dann, mir einige selbstgekochte Spezialitäten zu servieren (als Brahmane lebt er natürlich vegetarisch). Besonders im Gedächtnis blieben die Pilze, die mit viel Knoblauch, Kreuzkümmel und Koriander in einer Unmenge Butterschmalz (ghi) gedünstet und mit gehackten Tomaten abgelöscht waren. Die Pilze, so erklärte er mir, stammen aus Zuchtbetrieben und seien das ganze Jahr über, besonders aber im Winter, verfügbar.

Außerdem überzeugte er mich mit einem vegetarischen Reisgericht (pullao), aus herrlich lockerem Basmati-Reis mit Erbsen und gepresstem Frischkäse (panir). In der zurückhaltenden Würzung verließ er sich im wesentlichen auf frischen Ingwer und jede Menge Kreuzkümmel. An meinem letzten Tag überraschte er mich auch mit einem süßen pullao mit Trockenfrüchten, der durch sein starkes Fenchelaroma etwas unorthodox aber sehr angenehm schmeckte. Auch sein nach Kardamom duftender Karottenpudding (gajarela) ließ die Geschmacksknospen schnurren.

Kichererbsencurry mit viel Butter

Alle diese Speisen waren heftig gebuttert, entweder, weil sie in ghi gebraten waren, oder weil vor dem Servieren noch ein Stück Butter drunter gerührt worden war. Butter wird ja aus Milch gemacht, und die Milch kommt von der Kuh, und die Kuh ist heilig; wen wundert es da, dass der Verzehr von Butter als verdienstvoll gilt? Wegen des hohen Preises ist es allerdings kaum möglich, Butter als einziges Fett zu verwenden: Ghi kostet etwa 4 Euro pro Kilogramm, und das ist in einem Land, in dem ich ein Hotelbett um 3 Euro bekomme, einfach zuviel. Deshalb spielen Pflanzenfette, hier in Nordindien vor allem Sesam- und Senföl, die dominierende Rolle bei der Fettversorgung der Bevölkerung.

Gajarela – aromatischer Karottenpudding

Es mag ja hunderte Millionen Kühe in Indien geben, aber wer die ausgemergelten Gestalten am Straßenrand gesehen hat, der wundert sich über jeden Tropfen Milch, den die armen Viecher zu geben in der Lage sind.  Die indischen Großstadtkühe haben ein hartes karma: Abfall gibt es zwar genug, aber ob es sich um ein verdauliches Stück Pappe oder doch um eine Plastikflasche handelt, merken die schwerfälligen Paarhufer erst nach fünfminütigem Kauen. Da sie herrenlos sind, werden sie von Freelancern gemolken, die die Milch dann weiterverkaufen, bevor sie zu Joghurt, Butter oder Frischkäse weiterverarbeitet wird.

Nächste Woche fahre ich nach McLeod Ganj, auch ‚Little Lhasa‘ genannt. Dort ist der Sitz der tibetischen Exilregierung.

Liebe Grüße

alle Bilder © Gernot Katzer