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Etappe 12 – Kumbhalgarh

Ein mächtiges Fort in entrücktem Gelände, rotierende Ochsen und ein wirkungs­voller Chili-ImBiss

wenn ich letztes Mal Ranakpur als abgelegen beschrieben habe, was soll ich da erst zu Kumbhalgarh sagen, dem vermutlich größten Fort Indiens, das die Mewar-Dynastie ganz hinten nach dem letzten Berg links errichtete und das selbst Kaiser Akbar nicht mehr als einen Tag lang einnehmen konnte? Von Ranakpur, auch nicht gerade einem Zentrum der Urbanität, ist man gute drei Stunden mit Sammeljeep und Bus unterwegs, bevor man die letzten drei Kilometer zu Fuß zurücklegen muß. 

Häuser

Dabei kommt man durch eine Landschaft, die wirklich kaum ein Zeichen des zwanzigsten und schon gar nicht des einundzwanzigsten Jahrhunderts erkennen läßt.  Die Straße führt fast ohne Verkehr durch die kargen Hügel, und man sieht verstreute Gehöfte, kleine Ansiedlungen mit kommunaler Bewässerung und entsprechend leuchtend gelbe Senffelder. Besonders faszinierten mich die Zieh­brunnen, die immer noch durch Rinderkraft betrieben werden: Der rotierende Ochse bewegt per Zahnradtechnik eine Kette, an der Gefäße befestigt sind; letztere holen das Wasser aus der Tiefe des steingemauerten Brunnens und schütten es in die Bewässerungs­kanäle. Da wir gerade Trocken­zeit haben, liegt bei vielen Brunnen der Wasser­stand zu tief für die Kette, und so muß elektrisch gepumpt werden. Dafür kann man sehen, wie im Inneren der Brunnen Stufen verschiedener Bauart bis nach ganz unten führen.

Ochsenbetriebene Brunnen…

Die Menschen leben hier wahr­scheinlich traditioneller als an den meisten Orten, die ich in Indien gesehen habe. Frauen in bunten Saris, denen natürlich immer die härtesten Arbeiten aufgebürdet werden, wirken von der Straße aus wie Schmetter­linge, wenn sie sich im Zickzack­kurs durch das dornigen Akazien­gestrüpp arbeiten, um ein bißchen Feuer­holz zu sammeln. Man kommt sich fast wie ein schlüssel­loch­blickender Voyeur vor, wenn man diese Menschen beobachtet, deren Tages­ablauf so anderen Gesetzen als der eigenen folgt.

… und so führt das Schöpfwerk in die Tiefe.

Erreicht man dann endlich die mächtigen Mauern des Forts, dann fragt man sich, welche Asuras, Rakshasas oder meinetwegen Cyclopen diese ungeheure, 36 km lange Mauer inmitten der wilden Berge errichtet haben könnten; menschengemacht sieht sie eigentlich nicht aus. Vor einem Jahr haben mir in Diyarbakır (Ostanatolien) die Einheimischen erzählt, ihre 5 km lange, sehr beeindruckende Stadt­mauer sei die längste nach der Chinesischen Mauer, und ähnliche Geschichten mag man auch anderswo hören; aber hier will ich es glauben. Das düstere, endlose Gemäuer mit seinen bauchigen Wehrtürmen muß auf jede von der Anfahrt bereits geschlauchte angreifende Armee auch als psychische Barriere gewirkt haben.

Die Mauern von Kumbhalgarh

Als ich den Ort vor 14 Jahren besuchte, war er noch wesentlich verlas­sener als heute; mittlerweile gibt es Übernachtungs­möglichkeiten, Cafés und Souvenier­läden, und natürlich das ultimative Kennzeichen der Zivilisation: Eintritts­karten, die für Ausländer zwanzig­mal soviel wie für Inder kosten. Bin ich nun zwanzig­mal soviel wert wie der indische Tourist, oder tue ich durch meinen Besuch dem Monument zwanzig­mal mehr Schaden? Das weiß nur der Archeo­logical Survey of India.

Der Palastkomplex von Kumbhalgarh

Innerhalb der Mauern sieht es nicht viel anders aus als außerhalb: Eine kleine dorfartige Ansiedlung, gespickt mit einige touristischer Infra­struktur, viel dürre Landschaft und Gruppen von Tempeln, die teil­weise geradezu über­restauriert wirken. Am höchsten Punkt des umschlossenen Gebiet steht eine gut erhaltene Burg mit einigen restaurierten Palast­räumen voller Frescen von Elefanten.

Blick vom Palast entlang der Außenmauer

Spannender fand ich die Tempel. Obwohl einer davon als Shiva-Schrein genutzt wird, tragen alle typische Merkmale der Jain-Architektur; lediglich die kleinsten und insignifi­kantesten davon scheinen mir original hinduistisch zu sein. An den anderen sieht man winzige Tirthankara-Figuren über den Eingängen, männliche und weibliche Schutzf­iguren (Yaksha bzw. Yakshi) auf Kniehöhe links und rechts am Eingang und andere Symbole, deren Bedeutung mir nicht klar ist: Eine acht- oder sechzehn­zipfelige Blüte, Rauten-Ornamente und an chinesische Drachen erinnernde Löwen­köpfe an der Eingangs­schwelle.

Auch architektonische Merkmale wie die Kombination von Kuppeln und Türmen, offene Säulen­hallen und mehr­stöckige Bauweise erinnern mich an jainistische, nicht aber hinduistische Tempel. Eine Touristin aus Kolkata, selbst eine Jain, erklärte mir, daß der ASI nichts über diese Tempel publiziere, weil die hindu­istischen Archäo­logen keine Möglichkeit sähen, die Jain-Natur dieser Tempel wegzu­argumentieren und daher lieber Gras darüber wachsen ließen. Das mag eine Verschwörungs­theorie sein, aber da die Jains heute selbst in ihren Hoch­burgen in Rajashtan und Gujarat nur eine Minderheit darstellen, verwundert das Schweigen über eine so hohe Konzentration an Jain-Tempeln tatsächlich ein bißchen. Es gibt nicht einmal einen offiziellen Lageplan des Fort-Geländes.

Am interessantesten ist zweifellos der Vedi Mandir, ein dreis­töckiges, säulen­getragenes Bauwerk mit einer zentralen Kuppel und mannigfaltiger Jain-Dekoration. Einige Säulen reichen durch große Auslassungen im Fußboden vom zweiten Stock bis auf Bodenniveau – ein bemerkens­werter Effekt. Außerdem werden die höheren Stock­werke immer niedriger, so daß das Gebäude von unten durch Vortäuschen einer per­spektivischen Ver­kleinerung wesentlich höher wirkt.

Chilies werden mit Kartoffelmasse umwickelt…

Bei soviel Besichtigung denkt man nicht an das leibliche Wohl – und es wäre ja auch nicht viel zu bekommen. Bei einem Zwischen­stop in Sayra, wo man zwischen Jeep und Bus umsteigen muß, hatte ich jedoch Gelegenheit, eine wunder­bare Chili-Pakora zu essen, die die scharfe Rajasthani-Küche wunderbar illustriert: Grüne Chilies werden zunächst mit einer kräftig gewürzten Kartoffel­masse ummantelt, danach in den typischen Pakora-Teig aus Kichererbsen­mehl, Salz, Natron und Wasser getaucht und danach frittiert.

… in Kichererbsenteig getaucht und frittiert…

Das Resultat kann wirklich überzeugen, denn je weiter man sich von der Spitze bis zur Basis des Chilies durchißt, desto schärfer wird es, und der knusprige aber milde Kichererbsen­teig kontrastiert herrlich mit der weichen aber scharfen Kartoffel­komponente. So kocht man einfach aber wirkungsvoll!

… und schon sind die Pakora fertig.

Nächste Woche melde ich mich dann von einem richtig touristischen Ort, nämlich Mount Abu – das ist die einzige „hill station“ Rajasthans.