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Etappe 9 – Kathmandu III

von
oellicht

Über die Kleiderfrage einer Glücksgöttin, sich materialisierende Süßigkeitenstände, tausende Lichter und Wind-Geschmack aus der chinesischen Küche

ich bin nun wieder in Kathmandu und vertreibe mir die Wartezeit auf das Indien-Visum mit gutem Essen, Altstadt-Spaziergängen und Exkursionen in die Umgebung. Also alles wie gehabt. 😉

Das Indien-Visum versprach zunächst einmal, ein ziemliches Debakel zu werden, weil mir die Botschaft kein zweites Sechs-Monats-Visum ausstellen wollte. Also fragte ich herum, ob irgendjemand Rat wüßte, besuchte einige Travel Agents und wedelte mit Bündeln von Hundert-Rupien-Scheinen, in der Hoffnung, daß das irgendjemanden zu einer Höchstleistung motivieren könnte. Durch Vermittlung des Hotelbesitzers kam ich dann zu einem Reisebüro mit exzellenten Kontakten in die indische Botschaft, und dann war mir Lakshmi hold.

Für ein paar Rupien musizierende Mädchen

Lakshmi ist eine Dame mittleren Alters, deren Kleidung, Schmuck und Make-up wahrscheinlich halb soviel wie meine Travel-Ausrüstung gekostet hat; angeblich arbeitet sie in der indischen Botschaft, aber das hielt sie nicht ab, zur besten Arbeitszeit im Reisebüro zu erscheinen, mir ein Formular zu reichen (typisch indisch: Bei der Identität gibt man seinen eigenen Namen und den des Vaters an) und mir zu erklären, daß ich in einer Woche mein Visum bekommen würde.

Am nächsten Tag mußte ich in der indischen Botschaft auftauchen, zwei Stunden warten und unter Lakshmis Aufsicht ein weiteres Formular ausfüllen; außer mir „betreute“ sie zwei weitere Touristen. 90 Euro kostete der Spaß, dreimal soviel wie die offizielle Visumsgebühr, und plötzlich war mir klar, wer ihre exklusive Garderobe finanziert. Selten paßte ein Name besser zur Person, denn Lakshmi ist ja die Göttin des Reichtums (für sie) und des Glücks (für mich).

Geschmückter Aufgung zu meinem Hotel

Zur Zeit wird im ganzen indischen Kulturraum das Diwali- oder Dipavali-Fest gefeiert. Entsprechend sind die Tempel wieder geöffnet, gelegentlich trifft man auf trommelwirbelunterstützte Prozessionen, und abends werden alle Hauseingänge mit bunten Figuren aus Farbpulver, kleinen Opfergaben und brennenden Kerzen geschmückt. Das Fest wird deshalb auch oft als „Lichterfest“ bezeichnet; die Lichter symbolisieren dabei innere Erkenntnis.

Blüte aus Farbpuler und Öllichter am Boden

Anläßlich des Dipawali-Festes haben sich über Nacht in der Altstadt viele Verkaufsstände mit diversen Süßigkeiten materialisiert. Dort bekommt man das ganze Spektrum der indischen Spezialitäten wie Barfi, Pera, Jailebi, Laddhu und wie sie alle heißen. Teilweise findet man sie dann abends als Opfergaben neben den brennenden Kerzen.

Eine Reihe von Öllichtern

Auch auf den Obstmärkten hinterläßt das Fest seine Spuren: Eine seltsame zitronenartige Frucht namens Bimara, die ich vorher noch nie gesehen hatte, wird überall verkauft. Sie erinnert stark an die mediterrane Zitronatzitrone, aus der man das als Backzutat bekannte Zitronat herstellt: Sie hat ungefähr Zitronengestalt, ist aber wesentlich größer, an der Oberfläche oft warzen- bis krokodilsartig rauh und hat unter der dicken Schale ein strohiges, wenig saftiges Fruchtfleisch. Scheiben von Bimara werden oft am Boden vor den kleinen Schreinen am Straßenrand abgelegt.

Shiva und Parvati bei Festbeleuchtung

Über die Newari-Speisen habe ich Dir ja in meinen letzten Briefen aus Kathmandu schon viel geschrieben, und ich denke, ich lasse meine Berichte aus Nepal nun mit einigen weiteren chinesischen Erlebnissen ausklingen, denn nach wie vor pendle ich täglich zwischen der autochthonen Newari-Küche in der Altstadt und den chinesischen Restaurants im Touristenghetto Thamel.

Süßigkeitenhändler

Mein bevorzugtes Restaurant, das Hotel Chengdu, hat während meiner Abwesenheit die Speisekarte überarbeitet; der Hotelbesitzer, der mich besonders in sein Herz geschlossen zu haben scheint (offenbar bin ich der erste westliche Dauergast), erzählte mir, daß er ständig daran arbeitet, mehr Speisen anzubieten und die bereits vorhandenen zu optimieren. Daran zeigt sich die chinesische Einstellung zum Essen, die von Genußfreude dominiert wird und in einem guten Koch fast einen Künstler sieht, und auch das typisch chinesische Perfektionsstreben.

Beides hat übrigens Kim Stanley Robinson im spektakulär guten ersten Kapitel seines alternate-history-Romans „The Years of Rice and Salt“ wunderbar beschrieben, und zwar aus der staunenden Perspektive eines einfachen Mongolen, den es in das Běijīng der frühen Míng-Zeit verschlägt und der nur darüber staunen kann, mit welcher fast wissenschaftlichen Akribie die zahlreichen Restaurants versuchen, ihre Konkurrenz geschmacklich zu übertrumpfen.

风味辣子鸡 – scharfes Huhn mit grüner
Paprika

Auf der neuen Karte fielen mir eine Reihe von Einträgen mit der Zeichenkombination 风味 auf, die sich nach heftiger Recherche als „fēng wèi“ oder „Wind-Geschmack“ erschloss. Das war alles recht pikant, aber ich konnte keinen gemeinsamen Nenner ausmachen: So war fēngwèi là zǐ jī (风味辣子鸡) ein wunderbar scharfes Hühnerfleisch mit grünen Paprikaschoten; nach chinesischer Sitte wird das Fleisch nicht entbeint, sondern man soll die kleinen Knochen zerbeißen und mitessen. Dagegen war fēngwèi mù-ěr (风味木耳) ein kalter Salat aus jenen knackigen Pilzen, die bei uns als „chinesische Morcheln“ bekannt sind, garniert mit sauer eingelegten roten Chilies.

风味木耳 fēngwèi mù-ěr – kalter Pilzsalat

Auch das „Doppelt gebratene Schweinefleisch“ gab es in einer neuen Variante shǔxiāng huíguō ròu 蜀香回锅肉, wörtlich „zurück-in-den-Topf – Fleisch mit Geschmack von Shǔ“, wobei Shǔ der Name eines alten Königreiches auf dem Gebiet des heutigen Sìchuān ist. So wie die Grundversion war auch dieses trocken, ölig und aromatisch, allerdings mit knusprig frittierten Stücken von Dòufǔ (der bei uns eher unter seinem japanischen Namen Tofu bekannt ist). Unbedingt nötig für den authentischen Geschmack sind übrigens die fermentierten „schwarzen Bohnen“, dòuchǐ 豆豉, die beim Zerbeißen einen salzigen und hocharomatischen Geschmack hinterlassen.

Doppelt gebratenes Schweinefleisch

Dòufǔ hat ja nicht zu Unrecht den Ruf, eine „Orgie der Geschmacklosigeit“ zu sein; aber die Chinesen verstehen sich darauf, diesem (euphemistisch gesagt) neutralschmeckenden Material etwas Aroma anzuhexen. Sehr interessant fand ich die Vorspeise lǔshuǐ dòufǔ 鹵水豆腐, für die der Bohnenkäse erst in Gewürzbrühe geköchelt, dann in Teig getaucht und abschließend frittiert wird. Lǔshuǐ heißte eigentlich nur „Salzwasser“, aber in Wahrheit handelt es sich um eine echte Geheimwaffe der chinesischen Küche: Eine starke Fleischbrühe mit einer Riesenmenge an Gewürzen (Fenchel, Sternanis, Sichuanpfeffer, Zimt, Mandarinenschale, Cardamom), die fast ewig weiterverwendet werden kann, weil sie mit jedem Material, das darin gekocht wird, neuen Geschmack annimmt. In der englischsprachigen Kochliteratur ist sie auch als „master sauce“ bekannt, und manchmal liest man auch auf Deutsch „Meistersauce“.

lǔshuǐ dòufǔ 鹵水豆腐 – würziger Tofu

Das Kochen in gewürzter Brühe finde ich persönlich die chinesischste aller chinesischen Kochmethoden, da es in unzähligen Varianten praktiziert wird und für keine andere Küche so typisch ist. Bereits letztes Mal habe ich Dir ja von meiner chinesischen Lieblingsspeise Shuǐzhǔ niúròu 水煮牛肉 geschrieben, bei der  eine extrem geschärfte Brühe als Kochmedium für dünne Scheiben von Rindfleisch dient. Ein Standardverfahren ist Hóngshāo 红烧, das „Rotschmoren“, bei dem eine Mischung aus Sojasauce und Brühe (mit Gewürzen) zum Einsatz kommt und das Gargut sich entprechend dunkelbraun („rot“) färbt. Hier in Kathmandu habe ich eine ungewöhnliche Varinte davon bekommen, bei der weniger Sojasauce als die scharfe Chili–Bohnen-Paste dòubànjiàng 豆瓣酱 für die Farbe verantwortlich war. Als Folge war die Kochflüssigkeit weniger salzig und das Gericht nahm eher den Charakter einer sehr herzhaften Suppe an, zumal außer dem kanonischen fetten Schweinebauch auch noch magenverträglichere Kartoffeln mitgekocht wurden.

zhàjiàng miàn 炸酱面 – Nudelsuppe

Es wäre eine Sünde, bei einer Beschreibung der chinesischen Küche keine Nudelsupppen zu erwähnen. Am besten schmeckte mir zhàjiàng miàn 炸酱面, eigentlich eine Spezialität der Nordküche von Běijīng. Da ich es gerne pikant habe, wurde die zugrundeliegende Brühe mit etwas angebratenem dòubànjiàng verstärkt und danach mit Reisnudeln, gerösteten Erdnüssen, gehacktem Büffelfleisch und einem Spiegeleiserviert.

Laß mich mein Loblied auf die chinesische Küche mit einer Polemik beenden: Das Gros der Chinarestaurantbetreiber in Deutschland sollte wegen Verbrechen gegen die chinesische Kultur bastonadisiert, gevierteilt und mit Pfauenfedern zu Tode gekitzelt werden. Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit sie ihren Gästen die Freuden der chinesischen Küche vorenthalten.

Damit ist Nepal am Ende; sobald ich mein Visum habe, hüpfe ich über die Grenze, und Du hörst von mir, wenn ich wieder indischen Boden unter den Füßen habe.

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