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Lebkuchen – Würziges Gebäck mit reicher Vergangenheit (I)

Kulturgeschichtliches und Internationales zum Lebkuchens und seinen Verwandten

Den Truppen Dschinigs Khans soll es als Wegzehrung gedient haben und Shakespeare hätte seinen letzten Penny dafür gegeben: Jenes Gebäck aus Honig, Mehl und Gewürzen, das für viele Sinnbild der Weihnachtsbäckerei ist: der Lebkuchen.

Die Wurzeln des Lebkuchens

Wo und wann genau der Lebkuchen das Licht der Welt erblickte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Bereits in der Antike war Brot, das mit aromatisiertem Honig zubereitet oder getränkt wurde bekannt, wie Grabmalereien der Ägypter und Überlieferungen aus Griechenland oder dem Alten Rom zeigen. Die Vorläufer des Lebkuchens waren Kultgebäck, Speise der Götter, Allheilmittel, Wegzehrung auf der Reise ins Jenseits und Talisman in der Schlacht. Sie wurden auf Hochzeiten und Festen ebenso genossen, wie als nahrhaftes „Dauergebäck“ auf Reisen. Ausgenutzt wurde dabei nicht nur die Süße des Honigs, sondern auch seine konservierenden Eigenschaft.

Im Mittelalter taucht der Lebkuchen dann beinahe zeitgleich an mehreren Orten in Europa auf. Seine Spuren finden sich unter anderem in Belgien (Dinant), Frankreich (Dijon), Deutschland (Aachen, Nürnberg und Ulm) und in Russland (Tula). Es waren zunächst Klosterküchen, in denen Lebkuchen als Süßspeise zubereitet wurde. Aufgrund seiner Haltbarkeit und nahrhaften Inhaltsstoffen diente er auch den Pilgern als Wegzehrung auf ihren Wallfahrten. In verschiedenen Varianten gebacken waren es auch Mönche, die als Erste Oblaten als Unterlage verwendeten, um das Anbacken des Teiges zu verhindern.

Es sollte nicht lange dauern, bis der Lebkuchen auch außerhalb der Klostermauern „in Produktion“ ging: die Lebzelter oder Lebküchner nahmen ihr Handwerk auf. Anfangs noch ohne eigene Zunft, waren sie zunächst fast überall den Bäckern zugeordnet. Nur in Basel fand sich das Lebküchnerhandwerk in der „Herrenzunft zum Safran“ wieder, ein Hinweis auf die Bedeutung der Gewürze für das süße Backwerk. Die ersten, die den Lebkuchenbäckern eine eigene Zunft bescherten, waren Anfang des 13. Jahrhunderts die Franzosen, dicht gefolgt vom schlesischen Schleidnitz. Die Nürnberger Lebküchner mussten noch bis 1643 warten, bevor ihnen die Ehre einer eigenen Zunft zuteil wurde. Spätestens jetzt nahm der Siegeszug des Lebkuchens seinen Lauf. Allerdings immer noch nicht in der Form, wie wir ihn Heute kennen:

1 Pfd. Zucker, 1⁄2 Seidlein oder 1/8erlein Honig, 4 Loth Zimet, 1 1⁄2 Muskatrimpf, 2 Loth Ingwer, 1 Loth Caramumlein, 1⁄2 Quentlein Pfeffer, 1 Diethäuflein Mehl – ergibt 5 Loth schwer.

So lautet das aus dem 16. Jahrhundert stammende und damit älteste schriftlich überlieferte deutsche Rezept, das im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg aufbewahrt wird. Alleine das Verhältnis von Gewürzen zu Mehl zeigt, dass der damalige Lebkuchen eine recht „würzige“ Angelegenheit war.

Welchen Weg der Lebkuchen vom Mittelalter an bis in die heutige Zeit genommen hat und wie sich die heutigen Lebkuchenhochburgen entwickelten, hängt nicht zuletzt von der Verfügbarkeit der verwendeten Zutaten ab. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich dort ein blühendes Lebkuchenbäckerhandwerk entwickelte, wo diese entweder lokal gut verfügbar oder aber rege gehandelt wurden.

Nürnberg war in diesem Punkt gleich doppelt begünstigt. Zum Einen war es zur damaligen Zeit eines der bedeutendsten Handelzentren in Europa, weil sich hier gleich mehrere wichtige Handelstraßen kreuzten. Damit waren die wichtigen Gewürze und später auch der exotische Rohrzucker sehr gut verfügbar. Zum Anderen war Honig aus den umliegenden Wäldern im Überfluss vorhanden. Ähnliche Standortvorteile können andere Städte mit Lebkuchentradition, wie Braunschweig, Thorn oder Dijon aufweisen.

Die Zutaten

Mehl, Honig, Gewürze – die Grundzutaten des Lebkuchens

Honig mit Gewürzen gekocht, mit Mehl vermengt und im Ofen gebacken. Das ist die Urform des Lebkuchens. Manchmal noch durch Nüsse oder Trockenfrüchte ergänzt und mit Zuckerguss oder Schokolade verziert. Auch wenn die Zutaten weit gehend über die Jahrhunderte die gleichen geblieben sind,  zeigen sich in der Zusammensetzung und in den Details die häufig auch regional unterschiedlichen Entwicklungen.


Honig und Sirup

Zu Zeiten, als Zucker in der uns heute bekannten Form noch gar nicht zur Verfügung stand, war Honig das wichtigste Mittel zum Süßen von Speisen. Schon früh wurde der Honig jedoch nicht nur aus geschmacklichen Gründen verwendet, sondern auch wegen seiner wertvollen Inhaltsstoffe und seiner konservierenden Eigenschaften. In alten Lebkuchenrezepten macht Honig oft mehr als die Hälfte des Zutatenvolumens aus und überträgt so die ihm zugeschriebenen Eigenschaften auf das süße Gebäck. Kein Wunder also, dass Lebkuchen häufig auch als Heilmittel galt.

Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade in den Klosterküchen mit dem Rohstoff Honig so verschwenderisch umgegangen wurde. Der Boom von Kirchen und Klöstern im Mittelalter hatte nämlich einen Nebeneffekt: Für deren Ausstattung wurden Unmengen von Kerzen benötigt. Honig war gewissermaßen Abfallprodukt der klösterlichen Kerzenproduktion und damit auch sehr preiswert. Dies sollte sich in einige hundert Jahre später ändern. Die Folgen des 30-jährigen Krieges und vermutlich auch eine Bienenseuche führten dazu, dass Ende des 17. / Anfang des 18. Jahrhunderts Honig knapp wurde und der Preis stieg. Parallel wuchs der Import des begehrten Rohrzuckers, der allerdings immer noch so teuer war, dass nur die Oberschicht ihn sich leisten konnte. Es gibt zahlreiche Lebkuchenrezepte aus dieser Zeit, in denen gar kein Honig, sondern nur Zucker Verwendung fand.

Raffinadezucker einst zu teuer für die Lebkuchenproduktion

Mit Beginn der heimischen Produktion von Rübenzucker um 1800 herum versuchte man sich von der Importware unabhängig zu machen. Zwar war der eigentliche Zucker immernoch Delikatesse, die beim Großteil der Bevölkerung allenfalls an Festtagen auf den Tisch kam, doch der Sirup als Abfallprodukt war erschwinglicher. In den Lebkuchenrezepten spiegelt sich diese Entwicklung in der Geburtsstunde der Aachener Printe, aber auch in Pfefferkuchenrezepten insbesondere aus dem ostdeutschen Raum wieder.

In heutigen Rezepten tauchen je nach Sorte verschiedene Süßungsmittel auf: Honig, Rübensirup, Zucker, Kandis oder Fruchtsirup, manchmal pur, manchmal kombiniert. Immer jedoch in einem derart hohen Anteil, dass der Geschmack des Gebäcks entscheidend geprägt wird.

Mehl und Ölsamen

Mehl spielt in vielen Lebkuchenrezepten eher eine untergeordnete Rolle. Die Mengen an Mehl, die insbesonder in einigen älteren Rezepten auftauchen, sind derart gering, dass dem Mehl allenfalls eine bindende Wirkung zugekommen sein dürfte. Je nach Rezept schwankt der Anteil von unter 10 % bis 50 %. Zumindest für die deutschen Lebkuchenvarianten gilt, dass meist Weizen verwendet wird. In Frankreich und in vielen osteuropäischen Rezepten dominiert dagegen Roggenmehl. Ölsamen (Mandeln und Nüsse) werden oft nur als Ergänzung eingesetzt, bei einigen Spezialitäten, wie den Nürnberger Lebkuchen, ersetzen sie jedoch auch das Mehl und es gilt als besonderes Qualitätsmerkmal, wenn wenig bis gar kein Mehl verwendet wird.

Gewürze und Trockenfrüchte

Lebkuchengewürze

Neben Honig / Sirup sind für das Aroma von Lebkuchen vor allem die Gewürze charakteristisch. Im ausgehenden Mittelalter brachter wachsender Handel die begehrten Aromane aus dem Orient und Asien nach Europa. Zwar waren diese nicht gerade erschwinglich und manches wurde in Gold aufgewogen. Das tat ihrer Beliebtheit jedoch keinen Abruch. Alte Lebkuchenrezepte sind häufig wahre Gewürzkuchen oder Pfefferkuchen und erheblich stärker gewürzt, als unsere Gaumen es gewohnt sind. Dies wohl auch deshalb, weil er als Imbiss zu Wein und Bier genossen wurde – und so den Appetit auf mehr anregen solte. Pfefferkuchen als Synonym für Lebkuchen dürfte seinen Ursprung darin haben, dass der Begriff „Pfeffer“ früher allgemein für Gewürze Verwendung fand. Allerdings waren in Lebkuchen durchaus auch scharfe Gewürze sehr beliebt: neben weißem und schwarzem Pfeffer auch der pfefferähnliche Piment und der ebenfalls sehr scharfe Ingwer. Letzterer verhalf dem englischen Pendant des Lebkuchens zu seinem Namen: dem Gingerbread.

Es gab nie und gibt nicht DIE Gewürzmischung für Lebkuchen. Vielmehr sind die verwendeten Gewürze und ihre Mengenrelationen regional sehr unterschiedlich. Neben den auch heute noch klassischen Lebkuchengewürzen wie Zimt, Nelke, Macis oder Koriander waren früher auch andere Gewürze wie Sandelholz oder Süßwurzel beliebt, die heute eher in Vergessenheit geraten sind.

Ein weiterer, für viele Rezepte wichtiger Aromaspender sind Trockenfrüchte. Bei uns meist Orangeat oder Zitronat, finden sich in internationalen Lebkuchenrezepten auch andere Früchte wie getrocknete Feigen, Aprikosen, Kirschen oder Beerenfrüchte.

Mehr über die in Lebkuchen verwendeten Gewürze erfahren Sie im Campus….

Triebmittel

Ein Triebmittel taucht in alten Rezepten häufig gar nicht auf. Seine Triebkraft erhielt der Lebkuchen durch natürliche Fermentation: Man ließ ihn einfach mehrere Wochen oder gar Monate liegen. Durch die lange Reifung verbesserte sich nicht nur das Aroma, sondern der Teig wurde auch gelockert. Auch Pottasche und Hirschhornsalz, den klassischen Triebmittel für Lebkuchen, tut eine längere Lagerung gut, weil so sie ihre Triebkraft am Besten entfalten und unerwünschte Nebenaromen verlieren. Gleich ob Fermentation, Hirschhornsalz oder Pottasche: Der Lebkuchen behielt seine typische flache Form. Mit Aufkommen des Backpulvers im 19. Jahrhundert jedoch konnte er auch in die Höhe gehen und Rührkuchenähnliche Varianten wie die zahlreichen Honig- oder Gewürzkuchenvariationen entstanden.

Die Lebkuchenherstellung


Wer schon einmal Lebkuchen selbst gebacken hat, der weiß, dass der Teig sehr zäh und nur schwer zu verarbeiten ist. Das war früher auch nicht anders. In privaten Haushalten wurden daher auch schon mal die Knechte in die Küche geholt, man trat den Teig mit Füßen und griff zu Schlegeln oder eigens konstruierten „Brechbäumen“, um dem widerspenstigen Teig „Herr zu werden“. 

Nach dieser Prozedur wurde der Teig in Form gebracht. Anfangs noch als einfacher flacher Fladen gebacken, entwickelte sich recht bald eine eigene Kultur für die Form- und Farbgestaltung: Bereits im 15. Jahrhundert kam der Bildlebkuchen auf, der in eigens dafür geschnitzte Model gepresst wurde. Zunächst auf religiöse Motive beschränkt, setzten sich bald auch Szenen aus der Antike und volkstümliche Motive durch. Auch „geschminkt“ wurden Lebkuchen schon recht früh. Wobei neben farbigem Zuckerguss, Nüssen und Früchten auch Blattgold Verwendung fand. Um 1800 herum kamen farbige Bilder auf, die auf die Lebkuchen gebracht wurden: zunächst Köpfe, später auch ganze Figuren. Das Überziehen mit Schokoladenglasur kam erst Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

Historische Leckerbissen

Bei einem solch geschichtsträchtigen Gebäck wie dem Lebkuchen bleibt es nicht aus, dass er historisch Spuren hinterlässt. Hier einige Leckerbissen….

Reinheitsgebot I
1791 untersagte das Sanitätsamt Frankfur a.M., künftig Lebkuchen mit – gesundheitsgefährdendem – Gold- und Silberschaum zu belegen.

Medizinisches Missverständnis
1760 beklagte der Basler Gelehrte Johann Jakob Spreng dass man aus „Missverstande“ das würzige Gebäck als Lebküchlein sehen würde. Vielmehr handele es sich um „Arzney-, Gesund- oder Heilküchlein“, die unter anderem gut gegen Magenbrennen seien.

Geschlechtergeplänkel
Schweizer Lebkuchenbäcker waren es, die aus Furcht vor der Konkurrenz Lebkuchen backender Frauen, diese als in „Withwenstandt gerathene Weibsbilder“ betitelten, die aus verdorbenen Zutaten Lebkuchen herstellen und gar verkaufen würden. Die Gescholtenen konterten mit dem Hinweis auf die Qualität ihrere Produkte und dass sie durch diesen Nebenerwerb nicht „wie viele andere dem Spital zur Last“ fallen würden.

Ernährungsmedizinische Empfehlung
1555 warnten Mediziner im „Spiegel und Regiment der Gesundheyt“ die Öffentlichkeit vor der Gefahr des Verzehrs von Honig. Dieser „… ist dargegen jungen Leuten, und fürnehmlich denen, die in Glüendem alter seind, schädlich. Wo man auch des honigs zuvil nimpt, macht es den magen unwillend. Sol auch gesetzlich verboten werden.“ Sie empfahlen statt dessen den Verzehr von Zucker.

Reinheitsgebot II
1500 legte der Bremer Stadtrat fest, dass Honigkuchen, die den Bremer Schlüssel als Markenzeichen trugen, neben 166 Teilen Honig und 180 Teilen Mehl 25 Teile weißen Pfeffers enthalten mussten. Mit etwa 75 g Pfeffer auf 500 g Mehl eine scharfe Sache.

Weiter in Sachen Lebkuchenkultur im Teil 2 mit Lebkuchen International…