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Die indische Küche – das indische Mahl

von
dabbahwallahhead

Esskultur und Küche des indischen Subkontinents (Teil 3)

Gernot Katzer

Teil 1: Geschichte der indischen Küche – Indisches Speise-ABC

Teil 2: Grundzutaten der indischen Küche – indische Regionenküche

Gepflogenheiten

Indisches Essen ist im wesentlichen Hausmannskost. Restaurants für Berufstätige und Reisende existieren zwar überall, aber ein „richtiges“ Essen findet im Familienkreis statt. Auch bei großen Familienfesten wird das Essen, gegebenenfalls von mehreren Familienmitgliedern, selbst zubereitet. In manchen indischen Städten, vor allem Mumbai, gibt es auch ein logistisch hochentwickeltes Transportsystem, durch das Frauen ihren berufstätigen Männern das Mittagessen zustellen können: Dazu werden die Speisen in eine normierte Aluminiumbox mit mehreren Abteilen eingepackt und dem Dabbawala, einem spezialisierten Fahrradboten, übergeben – warme Ablieferung garantiert! Das Dabbawala-Gewerbe existiert übrigens seit der britischen Kolonialzeit, als viele indische Männer in der Kolonialverwaltung Arbeit fanden, dort aber nur mit aus ihrer Sicht inferiorem Essen konfrontiert waren.

Der Kochvorgang ist den Frauen vorbehalten und nimmt einen beträchtlichen Teil des Tages in Anspruch (in Restaurant kochen allerdings ausschließlich Männer). Die abendliche Hauptmahlzeit wird in größerem Kreis eingenommen, wobei Frauen in vielen Familien getrennt in der Küche speisen. Zu dieser Mahlzeit werden auch gerne Gäste eingeladen (Touristinnen sitzen dann bei den Männern). Vom Gast wird ein Gastgeschenk erwartet, das auch symbolisch ausfallen kann, etwa einige Schachteln Zigaretten.

Indische Frau in Ihrer Küche

Außerdem sollte ein Gast Zeit mitbringen, da an das Mahl lange Gespräche anschließen, wobei unter Fremden die jeweiligen Familien das Hauptthema sind. Dabei spielen Photos von Familienmitgliedern eine besondere Rolle. Inder haben wenig Scheu, Themen anzusprechen, die nach europäischem Verständnis recht privat sind, wie etwa Einkommen oder Gesundheit. Eindeutig zweideutige Gesprächsinhalte sind jedoch nur in einer sehr jungen und rein männlichen Gesellschaft zu erwarten.

In Indien isst man mit der rechten Hand, die man unmittelbar vor Beginn wäscht (Linkshänder sollten auf ihre Besonderheit vor dem Essen hinweisen, um niemanden zu verstören). In Restaurants kann man auch auf Messer und Gabel ausweichen, aber im Familienkreis wird Besteck höchstens in der urbanen Elite verwendet. In den meisten Regionen sitzt man nach orientalischer Sitte im Schneidersitz auf dem Boden und bekommt eine Portion Reis, Brot und Curries auf einen Teller zugeteilt; ein Nachschlag ist jederzeit möglich. Dann wickelt man einzelne Fleisch- oder Gemüsestücke in Fladenbrot ein und steckt sie sich in den Mund; oder man vermischt etwas Speise mit dem Reis zu einem hinreichend trockenen Brei, der entlang den anderen Fingern mit dem Daumen in den Mund geschoben wird.

Diese Eßmethode bringt es mit sich, daß man nach europäischem Geschmack recht wenig Speise mit viel Reis oder Brot ißt. Dieser Tatsache wird durch die starke Würzung Rechnung getragen. Europäische Besucher, die über „zu scharfes“ indisches Essen klagen, haben meist einfach zu wenig Reis oder Brot genommen.

 typische Komponenten: Reis, trockene und sossige Gerichte, Brot

Aufbau eines indischen Menüs

Speisefolgen wie in Europa haben in der indischen Familienküche keine Tradition; stattdessen werden alle Hauptgänge gemeinsam serviert. Die Auswahl der Speisen soll ein möglichst breites Spektrum an Zutaten und Aromen abdecken; ihre Anzahl richtet sich nach der Menge der mitessenden Personen.

Ein typisches nordindischen Menü könnte aus mehreren Gemüsecurries, ein bis zwei Hülsenfrüchtengerichten und eventuell einem Joghurtsalat (Raita) bestehen, dazu kommt eventuell noch ein Fleischgericht, dazu gibt es eine große Schüssel Reis oder einen Stapel Brot. In Südindien besteht eine Hauptmahlzeit dagegen aus mehreren Gemüsecurries unterschiedlicher Konsistenz (sossig-trocken) und unterschiedlicher süß-sauer-scharf Balance, Hülsenfrüchten und optional einem Fisch- oder Fleischgericht.

Als zusätzliche geschmackliche Kontrastpunkte stehen oft weitere Würzen zur Verfügung, die unter ihren englischen Namen pickle und chutney bekannt sind. Pickles (acar) bestehen aus Gemüse oder unreifem Obst, die mit Öl und Gewürzen eingelegt werden; sie können recht scharf sein. Chutneys sind entweder frische, rohe Zubereitungen oder mit Zucker und Gewürzen eingekochte Früchte.

Südindischer Tali, auf dem Banenblatt serviert – hier ein Beispielmenü

Vor- oder Nachspeisen sind in Indien erst durch westlichen Einfluß bekannt geworden. Traditionell ißt man kleine Mahlzeiten aus süßen oder würzigen Snacks rund um den Tag und bekommt sie auch auf der Straße angeboten – etwa Samosa, mit Kartoffeln oder Fleisch gefüllte knusprige Teigtaschen. Zu den beliebtesten süßen Snacks gehören Ras Malai, gekochte Käsebällchen in eingedickter Milch mit Blütenaroma, das trockene Konfekt Barfi oder die frittierten Kugeln Laddu aus Kichererbsenmehl, die mit aromatisiertem Sirup beträufelt werden.

Zu indischen Mahlzeiten wird grundsätzlich nur Wasser getrunken. Nach dem Essen genießt man meist eine Tasse Tee, oft mit Gewürzen (Masala chai, in Deutschand auch als „Yogi-Tee“ bekannt), im Süden auch Kaffee. Das bekannte Joghurtgetränk Lassi wird vorwiegend zwischen den Mahlzeiten konsumiert, es gilt als eine Art flüssiger Snack.

Die Dabbawalas von Mumbai

Sie flitzen mit 80 kg schweren Stellagen auf dem Kopf durch die quirligen Straßen Mumbais (vormals Bombay). Sie schieben mit Büchsen und Dosen vollbepackte Karren durch das Verkehrschaos der Megametropole – um pünktlich ihre Ware am Bestimmungsort abzugeben. Sie sind fast alle Analphabeten und doch sind weltweit Wissenschaftler und Firmen von ihrer Organisation und ihren Erfolgsquoten fasziniert: Dabbawalas – die emsigen Essensboten aus Mumbai.

Was die Dabbawalas da jeden Tag kreuz und quer durch die Stadt transportieren, sind Mahlzeiten, die morgens von den Frauen gekocht und mittags den Männern an ihren Arbeitsplatz ausgeliefert werden. In einer Metropole, in der 13 Millionen Einwohner ganz unterschiedlicher Ethnien und Glaubensrichtungen leben, die alle ihre eigenen Essensvorschriften haben. Und wo trotz aufgeweichtem Kastensystem immer noch eine große Rolle spielt, wer das eigene Essen zubereitet.

Und so werden die duftenden Mahlzeiten jeden Morgen in Dosen verpackt von emsigen Boten bei den Frauen frisch vom Herd weg abgeholt, mit einem Farb- und Zahlencode versehen zum nächst gelegenen Bahnhof gekarrt, wo sie von weiteren emsigen Händen in Empfang genommen und sortiert werden. Die nächste Etappe legen die Dabbawalas dann im Gepäckwagen der Züge zurück, um schließlich wieder vom Bahnhof aus die Blechdosen pünktlich zur Mittagessenszeit an ihrem Bestimmungsort abzuliefern. Bis zu 70 km hat so ein Henkelmann dann zurückgelegt.

5.000 Dabbawalas transportieren so 200.000 Mittagessen täglich. Nur eine von 16 Millionen Lieferungen geht verloren. Die Fehlerquote von unter 0,0000001 % hat den Dabbawalas eine Auszeichnung mit dem Six Sigma Rating beschert. Eine Zuverlässigkeit, die vor allem die Kunden zu schätzen wissen, die auch schon Mal wichtige Dokumente mit auf die Reise schicken. Als Kooperativen organisiert sind sie stolz auf das, was sie tun. Und wer sie gerne einmal besuchen möchte, den laden die Dabbawalas sogar ein, einmal einen Tag mit ihnen zu verbringen…

www.mydabbawala.com

© Bilder der Dabbawalas mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von Mydabbawala

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